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Unser Wohlstand und seine Feinde (German Edition)

Unser Wohlstand und seine Feinde (German Edition)

Titel: Unser Wohlstand und seine Feinde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabor Steingart
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Alles sieht nach Stabilität aus, aber es ist eine Stabilität auf Abruf.
    Andererseits sollten wir die aggressive Vitalität der Bastardökonomie nicht unterschätzen. Bisher erweist sich die neue Spezies als stärker als alle Staatsverträge, die man den Parlamenten vorgelegt hat. Sie setzt sich mit einer Rigidität und Rücksichtslosigkeit über das Erklärte und Unterschriebene hinweg, als wollte sie damit ihre Macht noch einmal dokumentieren. Die Verschuldensobergrenzen des Maastricht-Vertrags beispielsweise, die eine jährliche Neuverschuldung von drei Prozent der Wirtschaftskraft eines Landes und eine Gesamtstaatsschuld in Höhe von 60 Prozent vorschreiben, haben Banken und Regierungen gemeinsam außer Kraft gesetzt. 13 von 17 Euro-Staaten verletzen diese Regeln seit Jahren. Die durchschnittliche Neuverschuldung im Jahr 2011 lag um 37 Prozent über der Zielmarke. Die Gesamtstaatsschuld in der Eurozone übertrifft die in Staatsverträgen festgelegte Vorgabe um 50 Prozent.
    » Hätten die Staaten das Recht zur Begrenzung der Staatsschulden beachtet, gäbe es diese Schuldenkrise nicht « , sagt der ehemalige Verfassungsrichter Paul Kirchhof. Die kollektive Missachtung staatlich fixierter Verschuldungsgrenzen ist umso beachtlicher, wenn man sie mit anderen Gesetzesüberschreitungen vergleicht. Das Verbot des Alkoholverkaufs an Jugendliche unter 16 Jahren beispielsweise bindet in sehr eindeutiger Weise alle Seiten – den Barbesitzer, den Jugendlichen und die Erziehungsberechtigten. Der Kneipier kann seine Lizenz, die Eltern ihre Erziehungsberechtigung und der jugendliche Säufer immerhin seinen Verstand verlieren.
    Es gibt keinen einzigen Bereich des Rechtsstaates, wo zwei Geschäftspartner, ohne eine entsprechende Ausnahmegenehmigung vorweisen zu können, die geltenden Regeln außer Kraft setzen dürfen. Vereinfacht gesagt: Würden Banker behandelt wie ein Barbesitzer, der vorsätzlich und nachweislich an Jugendliche Alkohol ausschenkt, hätten sie allein durch die immer weitere Kreditausreichung an Griechenland, Italien und Irland die Lizenz zum Führen ihrer Bank verwirkt.
    Auch Deutschland fühlt sich an die Staatsverträge nicht mehr gebunden. Die Gesamtverschuldung wird in 2013 voraussichtlich um 30 Prozent übertroffen. Gleichzeitig sind die Politiker dabei, offenbar in das Volk beruhigender Absicht, an die Stelle der ausgebauten europäischen Schuldenbremse eine nationale Schuldenbremse einzubauen. Doch in der Wirklichkeit läuft die Verschuldung weiter. Trotz guter Wachstumszahlen, großer Exporterfolge und der Rekordsumme von über 600 Milliarden Euro, die der Steuerzahler 2012 beim Staat ablieferte, werden auch 2013 neue Schulden aufgenommen. Die Berliner Republik will von Maßhalten nicht allzuviel wissen. Kaum rückt ein ausgeglichener Staatshaushalt in Sichtweite, findet sich jemand, der eine neue Ausgabe erfindet.
    Die Rechnung für dieses die Demokratie und den Rechtsstaat überschreitende Treiben wird später dann dem Bürger auf den Tisch gelegt. Geldgewerbe und Staaten haben gar keine andere Wahl, als die steuerliche Leistungskraft der Leistungsfähigen und die Ersparnisse der Sparwilligen anzuzapfen. Und wenn der Politik der direkte Transfer von Schulden zu Steuern nicht gelingt, wird die Inflation die Menschen heimsuchen. Sie ist von allen Formen der Geldvernichtung die heimtückischste, weil sie ohne Vorwarnung und ohne Parlamentsbeschluss die Arbeitseinkommen, die Renten und die Spareinlagen zusammendampft. Derweil das in Beton und Stahl geronnene Eigentum an Häusern und Fabriken die Inflationszeit in aller Regel » unbeschadet übersteht, wird das Bargeld entwertet. « » Inflation ist « , so hat es ein amerikanischer Komiker formuliert, » wenn die Brieftaschen immer voller und die Einkaufstüten immer leerer werden. «
    Die neuzeitliche Bastardökonomie steht nicht im Wirtschaftslehrbuch, weshalb das Unverständnis der hybriden Verhältnisse weitverbreitet ist. Deshalb streiten Marktfundamentalisten und Staatsgläubige, Konservative und Progressive, Christ- und Sozialdemokraten so leidenschaftlich an der Sache vorbei. Ihre wechselseitigen Schlachtrufe – Hände weg vom Markt!, verlangen die einen, gebt uns das Primat der Politik zurück!, die anderen – sind das Echo einer vergangenen Zeit. Dabei müssen heute Markt- und Staatsversagen zusammen gedacht werden.
    Die Raffinesse der Bastardökonomie besteht ja gerade darin, dass man Hand in Hand arbeitet, ohne dass die Hände sich

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