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Unser Wohlstand und seine Feinde (German Edition)

Unser Wohlstand und seine Feinde (German Edition)

Titel: Unser Wohlstand und seine Feinde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabor Steingart
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gemeint ist. Die Chancen, dass unsere Wohlstandsordnung ihren inneren Verletzungen erliegt, sind nicht gering einzuschätzen. Sie ist nicht halb so robust, wie man es ihr nachsagt. Sie ist sogar ein höchst sensibles Gebilde, ein natürliches Ungleichgewichtssystem, das von einer Instabilität zur nächsten eilt.
    Schon ist man dabei, den Begriffskanon der Marktwirtschaft – Gleichgewicht, Selbstregulierung, Effizienz, rationale Erwartungen, Preissignal – zu denunzieren, indem man die Turbulenzen der vergangenen Jahre gegen die Marktwirtschaft aufmarschieren lässt. Dabei verspricht die Marktwirtschaft diese idyllischen Zustände gar nicht, sondern strebt sie nur an. Das ist ein wichtiger Unterschied. Es gibt auf den Märkten kein Gleichgewicht, nur den ewigen Versuch, es zu erreichen. Preissignale sind keine Preisbefehle, die von Roboterhand bestimmte Ergebnisse zeitigen. Selbstregulierung ist ein Mechanismus, der schon allein dadurch zu fortwährender Turbulenz führt, dass wir in Wahrheit im Plural, also von Selbstregulierungen sprechen müssen, von einem System miteinander konkurrierender, sich wechselseitig verstärkender und abschwächender Tendenzen, deren Ergebnis durch kein Computerprogramm ermittelt werden kann. » Selbstregulierung « ist zuweilen nur ein anderes Wort für » Zufall « .
    Dysfunktionalitäten lassen sich also zuhauf gegen unser Wirtschaftssystem ins Feld führen. Es gibt von allem immer zu wenig und immer zu viel. Alles ist ausreichend da, Geld wie Nahrungsmittel, nur chronisch am falschen Ort. Alle Schmährufe sind insofern berechtigt und absurd zugleich. Angesichts von Hunderttausenden von Scheidungen und einer nicht enden wollenden Serie von Gewalt in Beziehungen könnten wir mit gleichem Erregungspegel gegen die Idee von der Liebe zu Felde ziehen. Mit gleichem Recht ließe sich auch die Vision vom Weltfrieden diskreditieren – über 100 Kriege mit 135 Millionen Toten allein im 20. Jahrhundert, und auch im 21. Jahrhundert sind bereits eine Million Kriegstote zu betrauern. Sogar der menschliche Körper, dieses fehlerhafte Etwas, das am laufenden Band Zellen entarten, Geschwüre wachsen, Metastasen sich bilden, Organe ausfallen und Blut verklumpen lässt, wäre dann kein bewundernswerter Ausdruck der Evolution mehr, sondern eine Fehlerquelle auf zwei Beinen.
    Unsere Wirtschaftsordnung ist ebenfalls eine Ordnung, die zur Unordnung neigt. Schon Wilhelm Röpke wusste, dass die Marktwirtschaft die Voraussetzungen, die sie zum Leben braucht, nicht selbst hervorbringen kann. Sie ist schutz-, pflege- und permanent korrekturbedürftig. Sie ist, wir haben es vorhin bereits erwähnt, ein Verfahren zur Annäherung an ein Ideal, ohne dieses je erreichen zu können.
    Aus Unverständnis über das wahre Wesen unserer Wirtschaftsordnung, aus Lust an der Negation, aus dem natürlichen Hang vieler Intellektueller und der Medien zum Katastrophismus, aus Bequemlichkeit und Wahrheitsscheu kommt es zur Umdeutung der für ein Funktionieren der Marktwirtschaft zentralen Kategorien. Leistungswille wird mit Gier übersetzt, Erfolg mit Unbarmherzigkeit, und das Scheitern einzelner Marktteilnehmer – das gestern als Teil der Fortschrittsmechanik galt, weil das Bessere über das Schlechtere triumphiert – gilt nicht mehr als Bestätigung, sondern als Widerlegung des marktwirtschaftlichen Systems. Der Einsatz von Computerprogrammen bei der Kundenakquise und im Hochfrequenzhandel der Börse wird ins Monsterhafte verzerrt. Ein Nebenkriegsschauplatz erlebt den Aufstieg zum medialen Gefechtsfeld.
    Die Fortschrittsgeschichte der Menschheit, die aus Aufstieg und Fall, aus Versuch und Irrtum besteht und immer bestanden hat, wird umgeschrieben in eine Bedrohungssaga. Das staunende Publikum sieht seine Ängste bestätigt: Das Krisengewitter unserer Tage, was von Immobilienblasen, Bankenpleiten, Staatsschuldenkrisen übergangslos zur Euro - Turbulenz überging, hat das zerstört, was als moralische Fundierung unserer Wirtschaftsordnung unverzichtbar ist: Vertrauen. Schwankt das Fundament, zeigt das Haus Risse.
    Die moralischen Quellen, aus denen die Marktwirtschaft einst so reichlich schöpfte, drohen zu versiegen. Die große Errungenschaft des 19. Jahrhunderts, dass der Einzelne nicht mehr nur für sich und seinen Eigenverbrauch, sondern für den Markt und also für andere produziert, erscheint im Licht des Dubiosen. Auch der Lohn des Tüchtigen wird als Raubgut empfunden, wirtschaftlicher Erfolg macht nicht mehr

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