Unser Wohlstand und seine Feinde (German Edition)
Zielfernrohr des Staates geraten. Die westlichen Regierungen greifen mit der Härte von Steuergesetz, Genussmittelverordnung, Werberichtlinien und Polizei gegen sie durch. Der Verweis der Tabakmanager auf die kulturelle Dimension des Gebrauchs von Genussstoffen, auf das Selbstbestimmungsrecht der Bürger, auf die ebenfalls nicht ganz unerheblichen Todeszahlen der Alkohol- und Autoindustrie erwies sich als wenig überzeugend. Der Staat, der die Mehrheit seiner Bürger in dieser Frage hinter sich weiß, hat der Tabakindustrie einen Strick um den Hals gelegt. Tabak wird nicht verboten, aber zu Tode reguliert.
Die Gentechnologie, die durch Nutzung der Kenntnisse aus der Molekularbiologie Eingriffe in das Erbgut von Pflanzen und Tieren vornimmt, hat gute Gründe auf ihrer Seite – aber nicht die deutsche Bevölkerung. Es ist den Managern der Pharmafirmen und Nahrungsmittelkonzerne nicht gelungen, die Mauer der Ablehnung zu durchbrechen. Sie waren von der Richtigkeit ihrer Argumente so überzeugt, dass sie die Kommunikation darüber vergaßen. Ihr Geschäftsmodell war beendet, bevor es sich in Deutschland entfalten konnte.
Ist die Gesellschaft einmal in innere Aufregung versetzt, geht es nicht nur rational zu. Im Sommer 1982 wurde per höchstrichterlichem Beschluss ein Verbot der Peepshows in Deutschland durchgesetzt. Damals urteilte das Bundesverwaltungsgericht in Berlin, das Zurschaustellen nackter Frauenkörper verstoße gegen die » guten Sitten « und verletze die Würde der Frau. Peepshows seien daher in Deutschland nicht genehmigungsfähig. Es kam zur Schließung dieser klebrigen Etablissements.
Das Kuriose war nur: Die Prostitution überlebte den richterlichen Furor. Das kommerzielle Vorzeigen des entblößten Frauenkörpers ist seither verboten, sein Totalverkauf nicht. » Wenn sich die Wucht richterlichen Urteilens allein gegen ein groteskes Randphänomen richtet, kann und muss man sich betrogen fühlen – das Peepshow-Urteil als weißes Brusttuch auf dem gänzlich befleckten Anzug « , urteilte damals der Sexualwissenschaftler Eberhard Schorsch im » Spiegel « . Doch es blieb bis heute bei der Halbmoral.
Die Banken sind bereits in eine Phase eingetreten, wo sie nicht mehr selbst ihre Geschäftspolitik bestimmen können. Hinter jedem Bankvorstand stehen ein Staatsanwalt und zwei Dutzend Regulierer. Rund die Hälfte seiner Arbeitszeit, bekannte jüngst ein Vorstandsmitglied der Deutschen Bank, verbringe er nicht mehr mit Geschäftspartnern, sondern mit Anwälten.
Die Bank der Zukunft wird nicht nur anders auftreten, sie wird vor allem anders denken müssen als das heutige Institut gleichen Namens. Den öffentlichen Auftrag, den die Banken bei der Geldversorgung der Volkswirtschaft de facto erfüllen, müssen sie auch als solchen begreifen. Das klingt harmlos, aber es bedeutet die Abkehr von einem Geschäftsmodell, das die Gewinne für die Bank zu maximieren versucht, derweil die Risiken auf Kunden und Staat übergehen. Die Bank der Zukunft wird – wie die Energieversorger – sich ihres öffentlichen Auftrags erinnern müssen. Den Nachweis ihrer Nützlichkeit für die Gesellschaft muss sie neu erbringen. Von ihr wird erwartet, dass sie mithilft, das Verschuldungsniveau der Staaten zu senken, anstatt es weiter zu erhöhen. Eine neue Geldkultur sollte die Probleme der Staats- und Unternehmensfinanzierung lösen, nicht wie im Falle Griechenlands, im Fall der Kirch-Gruppe oder im Fall der norddeutschen Reeder verschärfen.
Das Zeitalter des » Deleveraging « , des weltweiten Schuldenabbaus, erfordert die Kunst des geordneten Rückzugs. Das Dauerrisiko unserer Tage kann nur reduziert werden, wenn das Geldsystem seine Komplexitätsdynamik bremst. Auch dafür ist es notwendig, die Schicksale von Staat und Geldgewerbe wieder zu entkoppeln. Die Banken sollten die zentrale Notwendigkeit einer Entflechtung von Staat und Finanzwirtschaft nicht erdulden, sondern aus eigenem Antrieb und im eigenen Interesse vorantreiben. Sie werden anschließend kleiner sein, dafür aber stabiler.
Aus Verkaufsmaschinen sollten wieder Geldaufbewahrungs-und Geldberatungsfirmen werden, die dem Kunden zuhören und ihm helfen, seine Pläne umzusetzen. Der Grad der Kunden-Zufriedenheit und des Klienten-Erfolgs muss über die Bezahlung des Bankers entscheiden und nicht die Tatsache, ob es ihm gelingt, sein Gegenüber mit möglichst vielen Aktienfonds, Optionsscheinen, Versicherungen und einer Überdosis Kredit zu versorgen. Die Banken
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