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Unser Wohlstand und seine Feinde (German Edition)

Unser Wohlstand und seine Feinde (German Edition)

Titel: Unser Wohlstand und seine Feinde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabor Steingart
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wie von Barroso gewünscht, würde unter den heutigen Bedingungen das Demokratiedefizit und damit die Anfälligkeit Europas für Havarien aller Art weiter vergrößern. Die Gesellschaft der Geheimräte und Bürokraten ist nicht die Fortsetzung der Bürgergesellschaft, sondern ihr Vorläufer. Europa sollte kein Tarnwort für die Errichtung neo-feudaler Verhältnisse sein.
    Mit der Vermehrung des Wohlstands will es derzeit ebenfalls nicht so recht klappen, er geht sogar in einigen Südländern zurück. Wenn es nur die Staatsschulden alleine wären, die daran schuld sind. Aber zehn von 17 Euro-Staaten weisen ein Doppeldefizit aus: Diese Staaten konsumieren mehr, als sie einnehmen, und die Wirtschaft importiert mehr, als sie exportiert. Beide Teile des Ganzen – Privatwirtschaft und Staat – saugen also Wohlstand von anderswo ab, lassen sich von den Finanzmärkten und den Importeuren aushalten.
    Spanien führt pro Werktag für 190 Millionen Euro mehr Waren ein, als es selbst verkauft. Im wesentlich kleineren Griechenland sind es pro Werktag 110 Millionen Euro, in Portugal 60 Millionen Euro. Damit die Bürger nicht merken, wie ihre Volkswirtschaften an Leistungskraft verlieren, springt der Staat in die Bresche. Der leiht sich Geld, um das Wohlstandsniveau halbwegs zu halten. So gehen steigende Leistungsbilanzdefizite mit steigenden Haushaltsdefiziten Hand in Hand. So verschärft die Bastardökonomie die unhaltbaren Verhältnisse, die sie selbst herbeigeführt hat.
    Allein in diesem Jahr werden in der Eurozone neue Schulden in Höhe von 240 Milliarden Euro aufgenommen, zum größten Teil, um alte Schulden zu bedienen. Diese Schuldenumwälzanlage ist ein einziges Ärgernis, weil sie die Volkseinkommen vernichtet, weil sie von allein immer größer wird, weil sie die politische Macht und die Finanzmärkte scheinbar auf ewig miteinander verbindet. Wohlstand kann unter diesen Bedingungen nicht gedeihen.
    Viele glauben nun, die Deutschen könnten an Stelle der Finanzmärkte die Rolle des Big Spenders für Südeuropa übernehmen. Und in der Tat: Die Idee, deutsche Steuermilliarden (rund 600 Milliarden Euro jährlich) und deutsche Sparguthaben (rund zwei Billionen Euro insgesamt) für andere Staaten und Banken anzuzapfen, liegt in der Logik des Bisherigen. Der Süden Europas befindet sich auf der Intensivstation, wo er nun mit Geldinfusionen aller Art versorgt wird. Der deutsche Wohlstand würde, so sagen die Befürworter eines » größeren deutschen Engagements « , in verflüssigter Form auf den Patienten wie ein Aphrodisiakum wirken.
    Doch in diesen Saugrüssel gehört ein Knoten. Europa braucht eine Ärmel-hoch-Kultur und keine Philosophie, bei der jeder nach dem größeren Wohlstand des Nachbarn trachtet, solange dieser ihn noch besitzt. Europa kann zu den Bedingungen Griechenlands, Portugals und Spaniens nicht existieren, weil ja schon Griechen, Portugiesen und Spanier nicht zu diesen Bedingungen existieren können. Arbeit und Anstrengung lassen sich auf Dauer nicht durch Konsum und Kredit ersetzen. Wer Europa will, muss mit der Anerkennung dieser Realität beginnen.
    Gleichwohl bedarf der Süden Europas der helfenden Hand, auch die der Deutschen. Die derzeitige Politik ist zu stark auf die Rolle des Staates fixiert. Die Probleme Griechenlands aber – und vieler anderer Schuldenstaaten – wurzeln im Privatsektor.
    Die derzeit angewandte Therapie erinnert in vielem an das, was der US -Bevollmächtigte Jeffrey Sachs und seine Chicago-Boys im Russland des Boris Jelzin ausprobierten: hastige Deregulierung, Fließband-Privatisierung und tiefe Einschnitte im Staatshaushalt: Sie schufen jenen Wildwest-Kapitalismus, der die russische Gesellschaft bis heute in Milliardäre und Habenichtse spaltet. Sachs, der sich damals als » Dr. Schock « einen Namen machte, hat sich bei den Russen später entschuldigt.
    Die Rolle des Dr. Schock ist auf die vielen Griechenland-Retter in Brüssel, Berlin und Paris übergegangen. Erneut sind Finanzartisten am Werk, die viel von Umschuldung, Kreditbeziehungen und Hebelwirkungen verstehen, aber wenig von der Kunst, eine Volkswirtschaft und die in ihr arbeitenden Menschen zu stimulieren. Die Nachfolger von Dr. Schock verbreiten Ohnmachtsgefühle, nicht Optimismus. Sie entziehen der Wirtschaft Geld, anstatt Investitionen zu ermöglichen. Sie drücken das Land von der Rezession in die Depression. Muskeln aber kann man sich nicht anhungern.
    Wären wir Deutsche mit den Bürgern in der DDR so

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