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Unser Wohlstand und seine Feinde (German Edition)

Unser Wohlstand und seine Feinde (German Edition)

Titel: Unser Wohlstand und seine Feinde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabor Steingart
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Steuerzahler weiter. Dass ein großes Bankhaus insolvent wird, empfinden die Banker in New York, London und Frankfurt nicht als marktwirtschaftliche Normalität, sondern als historischen Fehler des Staates. Man glaubt sich im Besitz einer staatlichen Überlebensversicherung, die sich von der herkömmlichen Versicherung vor allem dadurch unterscheidet, dass sie auch bei grober Fahrlässigkeit und selbst bei Vorsatz zahlt.
    Die Banken müssen nicht nur ihr Auftreten, sie müssen ihr Leben ändern. Wenn sie es nicht ändern, werden sie es womöglich verlieren. Die demokratische Gesellschaft erträgt es nicht, dass in ihrer Mitte internationale Geldnomaden kampieren, die sich und ihr Umfeld als eine exterritoriale Sonderwirtschaftszone begreifen – mit eigener Moral, eigenem Lebensstil, eigenen Bezahlsystemen und einer staatlichen Ausfallgarantie für den Fall, dass es wieder anders kommt als gedacht.
    Noch fehlt vielen Bankern das Verständnis für die historische Situation, in der sie leben. Sie wollen nicht wahrhaben, dass ihr Geschäftsmodell zur Disposition gestellt ist. Ihnen geht es derzeit ähnlich wie der deutschen Energiewirtschaft, die sich ein Verbot der Kernenergie in ihren wildesten Albträumen nicht vorstellen konnte. Deutschland als rohstoffarmes Land brauche die Atomenergie, sagten und glaubten die Vorstände aller deutschen Energiekonzerne. Das Restrisiko eines Atomunfalls müsse die Gesellschaft zu tragen bereit sein. Eine Lösung für die Frage der Endlagerung werde sich finden.
    Die Vorstände irrten. Und sie irrten nicht in ihrer Einschätzung der Energiesituation. Sie irrten in der Einschätzung der gesellschaftlichen Situation. Ohne auch nur ein Rechtsgutachten eingeholt zu haben, beendete die konservative Kanzlerin nach dem Atomunglück im japanischen Fukushima das bis dahin gültige Geschäftsmodell aller großen Energieversorger. Zum ersten Mal seit der Nachkriegszeit werden in Deutschland wieder im großen Stil industrielle Anlagen demontiert.
    In der Demokratie, das ist die Lektion, die es zu lernen gilt, bedürfen Geschäftsmodelle nicht nur der Zustimmung des Aufsichtsrates, sondern sie müssen zum Gegenzeichnen auch der Gesellschaft vorgelegt werden. Die Kanzlerin handelte in diesem Fall nur als Notar des Volkes.
    Deutschland braucht mindestens eine global aktive Großbank, sagen die Männer von der Deutschen Bank. Aber die Tatsache, dass sie Recht haben, wird ihnen nicht viel nützen. Schon aus Gründen des Selbsterhalts geht die politische Klasse auf Distanz. Die Erosion des Vertrauens in Kreisen der Kundschaft ist ebenfalls weit fortgeschritten. Ein Finanzsektor, der seinen Kunden Sicherheit und Teilhabe an den Chancen der globalen Finanzwelt versprach, hat die selbst erzeugten Erwartungen enttäuscht. Alle in den Filialen ausgehängten Slogans – » Wir machen den Weg frei « ; » Leistung aus Leidenschaft « , » Die Bank an Ihrer Seite « – haben sich in der Stunde der Krise selbst widerlegt. Der Weg war nicht frei, die Leistung wurde zur Fehlleistung, die Bank war überall, nur nicht an der Seite ihrer Kunden.
    Dafür kündigte man den Banken nicht das Konto, wohl aber die Freundschaft. Die Gemüter der Bürger sind seither in schwankendem Zustand: Man braucht die Banken, aber man will sie eigentlich nicht mehr. Man schätzt den Filialleiter um die Ecke, aber man hält die Investmentbanker in New York oder London für Scharlatane. Zerschlagungs- und Enteignungsfantasien kursieren, in London unter der Überschrift » Nationalization « ebenso wie in der deutschen Debatte, wo sie sich notdürftig als Regulierungsideen tarnen.
    Die westliche Wirtschaftsgeschichte ist seit Längerem schon eine Geschichte, in der nicht der Markt allein entscheidet. Zu Beginn des vorigen Jahrhunderts führten der Anstieg der häuslichen Gewalt und die gleichzeitige Einführung des Frauenwahlrechts in den USA zur Durchsetzung der Prohibition. Herstellung, Transport und Konsum von Alkohol waren per Verfassungsänderung zwischen 1920 und 1933 verboten. Dabei hatten beide Parteien, Demokraten und Republikaner, das Thema in den Wahlkämpfen gemieden, da sie selbst in Fraktionen – » wet and dry « – gespalten waren. Auch die Unterstützung durch den damaligen Präsidenten Woodrow Wilson nutzte der Getränkeindustrie nicht viel, sie verlor ihr wichtigstes Produkt an Schwarzbrenner, Hehler und die überall entstehende Alkohol-Mafia.
    Die Tabakindustrie kam damals ungeschoren davon, dafür ist sie nun ins

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