Unsichtbar und trotzdem da - 01 - Diebe in der Nacht
war ihm auch egal.
„Okay, Ağan, alles klar! Hilfst du mir? Ich bin übrigens Addi!“
Ağan blickte auf das Rückenmeer, das sich wie eine Mauer vor ihm erhob. Da war kein Durchkommen. Er nickte geschlagen.
„Ich helfe dir, Addi, selbst wenn ich es für Wahnsinn halte. Doch einen Fremden in Not soll man nicht im Stich lassen.“
Die Leute machten den Jungen sogar Platz, als sie sich von der Bühne weg aus der Masse herausarbeiteten.
Addi lief zur Schmalseite des Regals. Es war höher, als er gedacht hatte, aber mit Ağans Hilfe würde er es schaffen.
„Du musst mir eine Räuberleiter machen.“
Ağan stellte sich mit dem Rücken an die Regalwand. „Viel Glück, Addi! Und ich wünsche dir eine frohe Zeit im Gefängnis.“
„Was?“ Addi sah Ağan verwirrt an.
Ağan zuckte die Schultern. „Dieser Plan kann nur schiefgehen. Die schmeißen dich hier raus und du kommst in den Knast! Jede Wette!“
„Quatsch, ich mache ja nichts kaputt!“
„Wie du willst.“
Ağan faltete die Hände und Addi wollte eben den ersten Fuß in die Räuberleiter setzen, als eine helle, etwas spöttisch klingende Stimme hinter ihnen sagte: „Dein Freund hat recht!“
Addi fuhr herum.
An einen Verkaufstisch mit DVDs gelehnt, stand ein aschblondes Mädchen mit durchscheinend weißer Haut. Sie trug einen Rock aus rotem Stoff, der wie Seide glänzte, und darüber ein buntes Hemd mit einem auffällig großen Kragen. Aus ihren elfenblauen Augen sah sie die beiden Jungen an.
„Du schaffst es vielleicht, da rüberzulaufen. Ich würde es jedenfalls schaffen, aber spätestens an der Bühne bist du dran! Dann holen die dich da runter. Das findet hier keiner lustig.“
Ağan lächelte. „Genau meine Meinung“, sagte er. „Doch Addi hat den Willen eines Stiers.“
Das Mädchen stieß einen anerkennenden Pfiff aus. „Super für ihn! Aber den Stress ist so ein falsches Autogramm echt nicht wert.“
„Wieso falsch?“, fuhr Addi sie an. „Spidy ist ein Superstar. Und ich will endlich auch mal ein Autogramm. Außerdem wird er das cool finden, wenn ich oben rüberbalanciere. Dann sieht er, dass ich ein echter Fan bin.“
Das Mädchen zupfte gelangweilt an ihren Haarspitzen. „Wer weiß …“
So langsam wurde Addi richtig wütend. „Ach ja? Und was machst du dann hier?“
„Ich warte.“
„Na klar“, höhnte Addi. „Rein zufällig wartest du hier, während genauso rein zufällig ein berühmter Kinostar Autogramme gibt. Das kannst du deiner Oma erzählen.“
„Nee, aber meiner Mutter“, murmelte das Mädchen. „Die arbeitet nämlich hier. In der Kantine. Und genau dahin will ich, zumMittagessen. Nur liegt die Tür zur Kantine leider direkt hinter der Autogrammstundenbühne. Also muss ich warten, bis diese Pappnasen da vorne endlich verschwinden und die Tür freigeben. Übrigens: Der Typ ist überhaupt nicht der richtige Spidy.“
„Nicht?“, fragte Ağan überrascht.
„Natürlich nicht! Das ist der Sohn von einem der Hausmeister in einem Spidykostüm.“
„Aber ich dachte, das sei der echte Schauspieler!“ Ağan ließ die Hände sinken.
Das Mädchen verzog den Mund.
„Der kommt doch nicht für ’ne blöde Autogrammstunde ins KaDeWe! Diese Show ziehen die hier alle paar Monate ab, um den ganzen Fanartikelramsch vom letzten Jahr zu verkaufen. Spidy oder sonst wer, alles, was man in ein Kostüm stecken kann – das ist immer derselbe. Und jedes Mal versperren die Leute die Tür zur Kantine und ich muss auf mein Mittagessen warten.“
„Du lügst!“, fuhr Addi auf. „Los jetzt!“ Er stupfte Ağan an. „Mach die Räuberleiter.“
Das Mädchen grinste. „Na, dann viel Erfolg, Jungs!“
Addi stieg in Ağans gefaltete Hände, packte die Oberkante des Regals und zog sich bis zur Brust in die Höhe. Von hier oben hatte er einen guten Überblick. Auf der Bühne saß Spidy und gab gerade einem dicken Mann eine DVD mit seiner Unterschrift. Der Mann schwitzte und hatte einen hochroten Kopf, lächelte aber glückselig.
„Next one!“, brüllte Spidy.
„Es ist Spidy!“, rief Addi Ağan zu. „Er spricht Englisch!“
Im nächsten Moment war er oben auf dem Regal. Die Mittelleiste war zwar nicht ganz so breit wie ein Schwebebalken und in Wahrheit war er auch noch nie wirklich auf einem solchen Ding balanciert, aber was sollte es. Er breitete die Arme aus wie ein Artist auf dem Hochseil und lief schnell vorwärts.
Kaum aber hatte er das erste Drittel der Strecke hinter sich gebracht, trat ein, was das
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