Unsichtbare Blicke
hatte sie übers Wochenende freigegeben und befohlen, keinen Gedanken an den Fall zu verschwenden, ihr Geld in Boutiquen zu tragen oder in Jazzkneipen zu versacken. Von Muthaus wusste sie, dass er Schmetterlinge sammelte und eine Tauschbörse in der Messe besuchen wollte.
Nur ihre eigenen Gehirnzellen wehrten sich gegen diese Kurpackung; sie klebten an den Ermittlungen wie ausgelaufener Sirup in der Einkaufstasche.
Die weitere Befragung von Felix Diuso hatte nicht viel ergeben. Er hatte die Kette nach dem Ausflug in den Spreewald vermisst. Es war ihm sehr peinlich gewesen, weil Josie sie ihm nicht nur geschenkt, sondern sie sogar im Altenheim selbst gebastelt hatte, mit den Mumien, wie Felix es ausdrückte, den Begriff dann aber schnell zurücknahm. Josie höre das nicht gerne, sie möge die Senioren, sogar, wenn sie dauernd bei ihr ins Gras bissen.
Tatsächlich hatte Felix die bunten Perlen schon auf den Fotos, auf denen er und Josie völlig nackt zu sehen waren, nicht mehr um den Hals gehabt. Seine Vermutung, die Kette sei, als er das T-Shirt über den Kopf gezogen hatte, mit abgestreift worden, klang plausibel.
Die Frage, ob Josie sie gefunden und mitgenommen hätte, hatte Felix verneint, sonst hätte sie ihm den Talisman sicher sofort wiedergegeben. Außerdem hatte sie ihn ein paar Tage später getröstet, es sei doch nicht so wichtig, und sie habe ihm eine neue gebastelt. Dieses Mal mit weißen Steinchen, für die italienische Flagge, hatte er erklärt, die hatten gefehlt, und Josie hatte beim ersten Versuch gelbe stattdessen genommen. Auch das stimmte mit den Bildern überein.
Vielleicht hätte sie Diuso nicht gehen lassen sollen, war Stella immer wieder durch den Kopf gegangen, aber ohne einen Vergleich der DNA -Spuren mit der von Felix hatten sie nichts, um ihn festzusetzen. Außerdem glaubte Stella nicht an eine Verwicklung des Jungen in die Sache.
Trotzdem konnte sie nicht loslassen. Sie fragte sich, ob es daran lag, dass dies der erste große Fall war, der vielleicht über das Wohl und Wehe der Ermittlungsgruppe entschied.
Sie hatte das alles so gewollt, trotzdem wühlte seit einiger Zeit in ihr der Zweifel; er saß ihr im Nacken, wie ein Kobold, der permanent mit giftiger Stimme flüsterte: «Warum machst du diesen ganzen Job überhaupt?»
Im Dreck anderer wühlen, im schlimmsten, tiefsten, blutigen Dreck anderer Menschen, auch derjenigen, die unschuldig waren. Mit jedem Schritt der Ermittlungen pflügte sie mehr und mehr um, brachte in harmlosen Beziehungen Dinge zum Vorschein, die aus guten Grund mit einer dicken und undurchlässigen Schicht Mutterboden verdeckt worden waren, damit das Familienleben weiter gedeihen konnte. Wie viele Löcher grub sie, um nichts darin zu finden, bis der Spaten auf etwas Hartes stieß!
Die Wohnung sah immer noch aus, wie Stella sie vor ein paar Tagen verlassen hatte. Selbst Mortens Bemühungen machten daraus keine Heimat, und seit die Putzfrau in ihre vierwöchige Sommerfrische gestartet war, ging es weiter bergab.
Sie hätte nach der Trennung nicht zurückbleiben, sondern eine neue Bleibe suchen sollen, das war sicher der Fehler, redete Stella sich ein, Quatsch, sie hätte bereits vor zwanzig Jahren hier ausziehen sollen. Außer im zweiten Stock hatte sie schon in fast allen Etagen ihres Elternhauses gewohnt. Zuerst im Erdgeschoss mit den Eltern, später in der Dachwohnung, dann mit Kramer in der dritten Etage.
Sie putzte sich die Zähne. Bevor sie sich unter die Dusche stellte, änderte sie ihre Pläne und drehte das Wasser ab.
Wie sie war – in Jogginghose, einem übergroßen T-Shirt, das sie als Ärzte-Fan auswies, und in den gelben Plastiklatschen, in denen ihr Gang viel Ähnlichkeit mit dem einer Ente hatte –, schnappte Stella sich einen Fünfziger und ein Gummiband vom Küchenschrank, schnürte sich die Haare zu einem Pferdeschwanz und verließ das Haus.
Zwanzig Minuten später stand sie an der Kasse des Drogeriemarkts und räumte eine Batterie von Hightech-Putzgeräten und Sprühflaschen, die wahre Hygienewunder versprachen, auf das Band. Sie zahlte und investierte den Rest des Geldes in einen Kaffee in der Bäckerei an der Ecke. Die beiden prallvollen Papiertüten und den Becher ohne Deckel bis zur Wohnung zu balancieren, gelang Stella so gerade eben.
Als sie kurze Zeit später ihre Küche betrat, stand ein Mann an der Spüle. Er drehte sich um. In einer Hand hielt er eines der großen Küchenmesser.
«Uhuuu», sagte Saito, als er Stella in der
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