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Unsichtbare Blicke

Unsichtbare Blicke

Titel: Unsichtbare Blicke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Maria Reifenberg
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Es gab keine Beweise. Er musste nun nur noch genauer aufpassen.
    «Das ist Lena», antwortete er. «Ich habe sie vor vielen Jahren getroffen, mit einer Freundin, nach einem Konzert. Aber ich glaube kaum, dass Sie in der Hütte noch eine Spur von ihr finden.» Und auch nicht hinter der Hütte und im Teich schon gar nicht. Ihr vergeudet unser Steuergeld.
    «Wann war das genau?»
    Sollte er ihr das genaue Datum sagen? Er wusste es, auf den Tag, natürlich wusste er es. «Ist vielleicht fünfzehn Jahre her oder mehr, aber keine zwanzig.»
    «Achtzehn, um genau zu sein.»
    Es war richtig gewesen, die Wahrheit zu sagen. Er verkniff sich ein Lächeln, obwohl es ihm schwerfiel. «Doch so lange. Eins, zwei, drei im Sauseschritt, vergeht die Zeit, wir gehen mit … Oder so ähnlich, so heißt es doch.»
    «Mögen Sie Busch?»
    «Den Präsidenten?»
    Beherrsche dich. Markiere nicht den Überheblichen. Sie meint es ernst. Du solltest es auch ernst nehmen.
    «Nicht Bush – Busch mit sch. Wilhelm Busch, von dem stammt der Vers.»
    «Wow», sagte er. «Keine Ahnung, ich hab’s mal irgendwo gesehen, in einem Schaufenster oder so. Ein Fotoladen, Kinderfotos und dann später und so … Ist das wichtig?»
    «Nein. Vor achtzehn Jahren war Lena Bruckner also hier bei Ihnen in der Hütte. Wie war das damals?»
    «Jetzt werden Sie indiskret.»
    «Bei Mordermittlungen gibt es keine Indiskretionen.»
    «Ist sie tot?»
    «Lena Bruckner? Oder Zusak, sie hat geheiratet …»
    «Das Mädchen, nach dem Sie suchen. Josie sowieso.»
    «Sonnleitner. Ihr Nachname ist Sonnleitner.»
    «Also, ist sie tot?»
    «Vielleicht können Sie es mir sagen?»
    Sie hatte nichts in der Hand. Er war sich ganz sicher. Sie wusste eine Menge, aber in der Hand hatte sie nichts.
    «Dann bräuchte ich einen Anwalt», sagte er.
    «Wollen Sie einen kommen lassen?»
    «Bin ich verhaftet?»
    «Nein, Sie können jederzeit gehen.»
    «Ich kann Ihnen nicht sagen, ob Josie tot ist.»
    Das war nicht einmal gelogen. Im Prinzip war es möglich. Wenn sie ähnlichen Unsinn wie Celine angestellt hatte. Er hätte längst wieder bei ihr sein müssen. Diese Idioten, die ihn beschattet hatten, wären schuld, wenn sie verdurstete.
    «Kommen wir noch einmal zu Lena. Sie haben sie also vor achtzehn Jahren getroffen und …»
    «Ich war auf dem Konzert, mit Bernhard und den anderen, na ja, viele von damals sind nicht mehr bei der Truppe. Die Mädels haben mich mitgenommen, Fahrradpanne, es war spät.»
    «Die Mädchen haben also bei Ihnen übernachtet?»
    «Jepp. Und wir waren schwimmen, im Teich, Lena und ich, die andere war zu müde.»
    «Und das war es?»
    «Nein.»
    Sie hob die Augenbrauen. Das hatte sie nicht erwartet. Er würde ihr nicht die Freude machen, ihn bei irgendetwas zu ertappen!
    «Ich habe sie vor ein paar Jahren wiedergesehen, zufällig. In Gera. Wir hatten ein Treffen mit allen Führungsleuten, die Firma, Sie verstehen schon, alles über E-Mails und Videokonferenzen und so weiter, das geht nicht, ab und zu müssen alle zusammenhocken, reden. So richtig. Und einen trinken gehen. Und sie hatte einen Kongress, irgendetwas mit Medizin oder so. Wir waren zufällig im selben Hotel.»
    «Haben Sie miteinander gesprochen?»
    «Ein paar Worte, aber so richtig viel zu sagen hatte man sich nicht.»
    «Hatte man nicht. Verstehe.»
    Du verstehst gar nichts. Arrogante Tussi.
    «Und dann?»
    «Was dann?»
    «Sind Sie in Kontakt geblieben?»
    «Nein. Wie gesagt, man hatte sich nichts zu sagen.»
    Ihr Handy klingelte. Sie schaute auf das Display und nahm den Anruf an.
    Jetzt würden sie es ihr sagen. Nichts. Nichts in der Hütte. Nichts im Teich. Und nichts im Wald.
    Er lächelte sie an. Obwohl das Telefonat lange dauerte und sie es mit dem ein oder anderen knappen «Ja» kommentierte, war er sich sicher. Nichts. Sie hatte nichts, und sie bekäme nichts. Nicht ihn. Nicht Josie. Nichts.

55
    Ich hatte nicht gewusst, wie sehr sich alles in einem Menschen nur auf eine Sache konzentrieren konnte, noch mehr als das, wie man plötzlich nur noch aus dieser einen Sache bestehen konnte. In den wenigen Jahren meines Lebens hatte ich mich noch nie Tage am Stück nur mit einer einzigen Tätigkeit, einem einzigen Gedanken, einer einzigen Frage beschäftigt.
    Während des Kratzens kratzte ich nur und sang; alle Lieder, die ich irgendwie hinbekam. Keinen Gedanken verschwendete ich daran, was passierte, falls er zu früh kam, was passierte, falls das Gitter sich nicht öffnen ließ, was nach dem

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