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Unsichtbare Blicke

Unsichtbare Blicke

Titel: Unsichtbare Blicke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Maria Reifenberg
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Füßen etwas, vielleicht eines der Biester, die ihre Köttel überall hinterlassen hatten. Sie sind ein gutes Zeichen, redete ich mir ein, sie kommen irgendwoher, es gibt einen Ausgang, irgendwohin.
    Nur zwei oder drei Meter weiter entdeckte ich das nächste Gitter, es musste in den Raum direkt neben meinen führen. Dort brannte kein Licht. Ich rief einmal, zweimal, aber niemand antwortete. Weiter, spornte ich mich an, weiter, vergeude keine Zeit.
    Den schwachen Schein, der durch das dritte Gitter fiel, konnte ich schon nach wenigen Vorwärtsbewegungen erahnen. Mein Puls beschleunigte sich. Ich spürte, wie sich in den Schmutz auf meiner Stirn Schweißtropfen mischten und kleine Rinnsale gruben. Es war zu eng, um mir durchs Gesicht zu wischen.
    Beim Blick hinab in den schwach beleuchteten Raum hielt ich die Luft an. Anscheinend brannte nur eine kleine Tischlampe. Ich konnte nicht den ganzen Raum überblicken. Auf meine vorsichtigen Rufe, es war eher ein Flüstern, antwortete niemand. Ich versuchte es lauter, aber wieder kam nichts zurück. Da unten war niemand, vielleicht hatte ich mich doch getäuscht, als ich jemand gehört zu haben glaubte.
    Ich konnte einen Tisch erkennen, links hinten die Ecke eines Bettes. Vielleicht lag jemand darauf, zu sehen war niemand, das hohe Fußteil verdeckte die Sicht. Das Gitter war direkt vor meinem Gesicht. Ich drückte den Kopf ein wenig nach oben, um es besser betrachten zu können. Es war genauso verschraubt wie das in meinem Zimmer. Ein zweites Mal würde ich es nicht schaffen, das Metall aus seiner Verankerung im Stein zu kratzen – nur um dann in einem anderen Gefängnis zu landen.
    Ich bewegte mich weiter vorwärts. Der Schacht verzweigte sich. Wieder hatte ich die Wahl, mich nach rechts oder nach links um die Ecke zu quetschen. Woher kam die Luft? Das musste meine Richtung sein, zur Luft, irgendwo musste eine Verbindung zur Luft, nach draußen sein.
    Ich feuchtete den Finger an, hielt ihn in die Mitte des Abzweigs. Nichts. Mein Mund war so trocken, dass ich kaum genug Spucke für einen zweiten Versuch hatte. Ein Unterschied war jedoch kaum auszumachen. Spürte ich einen Luftzug von links? War da ein kühler Hauch? Von links?
    Ich nahm den linken Schacht. Ein weiteres Gitter. Der Flur, das musste der Flur sein, der zum Waschraum und der Toilette führte. Ja, die Waschbecken. Durch das Gitter konnte ich sie sehen, die langen Tröge.
    An der Stirnseite dieses Raums endete der Schacht. Ich stieß mit den Fingern an eine Wand. Ich tastete links – Ende. Rechts dasselbe.
    «Nein», schlüpfte es mir über die Lippen, «bitte nicht …» Hier konnte nicht das Ende sein, durfte es nicht. Ich brauchte eine Minute, um mich zu beruhigen, dann tastete ich noch einmal. Über mir griff ich ins Nichts. Der Schacht knickte nach oben ab.
    Die Flasche mit dem Rest meines Wassers hatte ich immer vor mir hergeschoben. Ich nahm sie nun in eine Hand, rutschte ein Stück zurück, drehte mich auf den Rücken und streckte die Hände mitsamt der Flasche in die Dunkelheit nach oben. Auf dem Po rutschte ich etwas weiter, beugte die Brust, dann den Rest des Oberkörpers so, dass ich mich wieder um die Ecke winden konnte, dieses Mal nach oben.
    Zentimeter für Zentimeter schob ich mich auf die Beine und stand nun: die Hände über den Kopf erhoben, ausgestreckt, mit zittrigen Knien, in einer engen Röhre, um mich herum nur tiefschwarze Luft, nichts, kein Himmel, keine Decke. Wo war die Sonne, wo war das Ende dieses Schachts? Die freie Hand fuchtelte, suchte nach etwas, an dem ich mich vielleicht hochziehen konnte, um in die nächste Etage zu kommen.
    Jetzt spürte ich den Luftzug ganz deutlich, von dort oben kam er, musste er kommen, das war doch klar.
    Ich versuchte, ein Bein anzuwinkeln. Vielleicht konnte ich mich abstützen und nach oben schieben, wenn es nicht allzu weit hinaufging, würde ich es vielleicht schaffen.
    Der Platz reichte nicht einmal, um ein Knie gegen die Wand des Belüftungssystems zu drücken. Außerdem bestand die ganze Anlage aus einem glatten Metall, an dem ich immer und immer wieder abgerutscht wäre.
    Es ist enger als in einem Sarg.
    Der Gedanke durchzuckte mich, nein, er wogte durch meinen ganzen Körper. Es war ein weiches Gefühl, kein blitzender Schmerz, sondern eine Welle, die mich einschloss.
    Enger als ein Sarg. Mein Sarg.
    Ich weiß nicht, wie lange ich so dastand. Meine Fingerspitzen schliefen schon wieder ein. «Weiter», presste ich hervor. «Es war der Gang

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