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Unsichtbare Blicke

Unsichtbare Blicke

Titel: Unsichtbare Blicke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Maria Reifenberg
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rechts. Du musst zurück und dann den rechten Abzweig nehmen.» Auf dem Weg zurück, der mir vorkam, als dehne er sich ins Unendliche aus, sagte ich mir immer wieder: «Es war der Gang rechts.»
    Doch auch der musste irgendwann nach oben. Als ich an der gleichen Stelle ankam, hatte ich nicht einmal Tränen. Ich machte mich auf den Weg zurück in mein Zimmer. Mein Zimmer. Was für eine dämliche Bezeichnung. Mein Gefängnis. Mein Sarg.

58
    Er hatte auch mit diesem Fall gerechnet. Er hatte mit allem gerechnet. Und er hatte sich auf alles vorbereitet. Den Ersatzschlüssel für Tschelchers Opel Vectra hatte er schon im vorigen Jahr verschwinden lassen, der Depp hatte es wahrscheinlich nicht einmal gemerkt. Dabei betüddelte er die alte Karre wie ein Kind. Scheckheftgepflegt, Garagenwagen. Er sprach mittlerweile sogar damit, wenn er sich unbeobachtet fühlte.
    Sie würden nicht ewig vor der Hütte stehen, davon ging er aus. Diese Polizistin und ihr Japaner konnten ihm nichts nachweisen, absolut nichts. Irgendwann würde sie ihre Truppen zurückziehen, wahrscheinlich schon bald, aber dann war es vielleicht zu spät.
    Sein Mädchen hatte nicht genug Wasser, und bestimmt hatte sie Angst, wenn er nicht zurückkam, mit Recht, er wusste doch am besten, wie einsam man sich dort fühlen konnte. Einsam und voller Angst, vergessen zu werden.
    Weit nach Mitternacht zog er sich die dunkelblaue Jeans und einen dunklen Pulli an, stieg in die Gummistiefel, die er sonst kaum noch benutzte, schulterte den Rucksack und machte sich durch die hintere Tür auf den Weg.
    Es war stockdunkel, bei Vollmond hätte er vielleicht ein Problem gehabt. Aber sie standen sowieso schräg oberhalb der direkten Zufahrt. Sie hatten zwar das Haus an der Südwestseite im Blick, aber der schmale Trampelpfad in den Wald lag gut geschützt von den Stachelbeersträuchern im totalen Schatten.
    Den Weg bis zu Bernhard Tschelchers Haus hatte er in nicht einmal zwanzig Minuten zurückgelegt. Das Garagentor war verriegelt, darauf achtete der gute alte Bernhard, kein Mensch würde einen zwanzig Jahre alten Vectra stehlen, hier nicht. In der Stadt vielleicht, aber hier! Auch die Hintertür auf der Längsseite schloss Tschelcher ab, den Schlüssel allerdings legte er immer oben auf den Rahmen. Jeder wusste das.
    Er betrat die Garage, öffnete das Tor von innen und schob das Auto hinaus auf die Straße. Dort erst startete er den Motor. Das Licht schaltete er hinter der alten Blutbuche an der Kreuzung an. Der Tank war voll. Danke, Bernhard, dachte er.
    Er fühlte sich wohl. Warum er sich seit dem Verhör – es war ein Verhör gewesen, obwohl sie es ein Gespräch genannt hatten, nur ein Gespräch, insgesamt vierzehn Stunden lang! –, warum er sich trotzdem so wohl fühlte, war ihm ein Rätsel. Er hätte Panik schieben müssen, mindestens. Aber er hatte keine Angst.
    Die Polizistin hatte ihm gefallen. Stella van Wahden. Sie strahlte etwas aus. Er konnte es nicht benennen. Sie war stark, sonst wäre sie nicht Sonderermittlerin geworden, das war klar. Aber sie hatte noch etwas, das er spürte. Jemand wie er spürte so etwas.
    Er lenkte den Opel durch die Ortsmitte, das war ein Umweg von ein paar hundert Metern, vor allem auch ein kleines Risiko, aber das durfte er sich gönnen. Vor dem Goldenen Ochsen schaltete er in den Leerlauf, das Auto rollte nur noch leise dahin.
    Der Gasthof lag still und dunkel da. Die Wagen mit den Kölner Kennzeichen standen auf den Parkplätzen, die an die Mauer zum ehemaligen Forstamt grenzten. Ehemalig. In diesem Ort war alles ehemalig.

59
    Stella wachte von einem Geräusch auf, das sich mit dem Lärm in ihrem Traum mischte und plötzlich die Oberhand bekam. Ihre Augenlider klebten aufeinander, ein sicheres Indiz dafür, dass sie beim Spätburgunder keine Gefangenen gemacht hatte. Sie stützte sich auf die Unterarme und horchte: kein Geräusch. Ein Pochen oder Poltern glaubte sie gehört zu haben, aber vielleicht war es doch der Traum.
    Morten hatte darin auf dem Flughafen gestanden, am Check-in zu einem Flug nach Guatemala. Obwohl sie in der Abfertigungshalle gewesen waren, dröhnten die Triebwerke einer Boeing direkt über ihren Köpfen, kein Wort hatte sie verstanden, dem Gebäude fehlte das Dach, und Morten hatte die Achseln gezuckt und war gegangen.
    Stella tastete sich durch das Zimmer, stieß sich den Zeh an der rustikalen Eichentruhe, in der schon Hornhubers Urgroßmutter die Wäsche gelagert hatte. Ihr leiser Fluch hallte in der

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