Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unsichtbare Blicke

Unsichtbare Blicke

Titel: Unsichtbare Blicke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Maria Reifenberg
Vom Netzwerk:
worden sein, es ist nicht davon auszugehen, dass sich jemand den alten Kram irgendwo im Westen eingebaut hat.»
    «Da er sie zumindest tageweise alleine lässt, muss er sicher sein, dass sie niemand sieht und hört», sagte Stella. «Oder sie zufällig entdeckt.»
    «Hier in der Mitte, das Thüringer Schiefergebirge. Wald, Hochmoore, einsame Gegenden zur Genüge», sagte Muthaus. «Wir geben morgen früh als Erstes eine Anfrage an alle Polizeidienststellen, Grundbuchämter, Gemeindeverwaltungen und was weiß ich raus. Sie sollen uns eine Liste mit allen Objekten in Alleinlage aufstellen, die nur von einer Einzelperson genutzt werden oder leer stehen.»
    «Und wenn er sich einen hübsches schalldichtes Verlies eingerichtet hat, wie dieser Österreicher für seine Tochter, unten im Keller, mitten in einer wunderschönen Reihenhaussiedlung?»
    Muthaus zuckte die Achseln. Alle schauten sich reihum an.
    «Dann haben wir Pech gehabt», sagte Saito.

15 . Mai 2009
    Die ersten beiden Tage hatte er Lena auf dem Dachboden der Hütte versteckt. Das war keine Lösung, auf Dauer konnte es nicht so bleiben. Man konnte nur in der Mitte, direkt unter dem First, aufrecht stehen. Eine Heizung gab es nicht. Er wuchtete eine Matratze, Kissen und einen Schlafsack hinauf. Sobald er sie losband, trat und biss und kratzte sie. Den Klebestreifen durfte er ihr nur zum Essen vom Mund nehmen. Sie schrie. Sie beschimpfte ihn. Das macht doch alles nur schlimmer, dachte er, warum ist sie so dumm? Da war ihm die Idee gekommen.
    Sie konnte nicht in der Waldhütte bleiben. Er konnte sie nicht gehen lassen. Sie würde ihm alles kaputtmachen.
    In den letzten Jahren war es doch gutgegangen. Meistens konnte er schlafen. Er arbeitete viel, was sollte er auch sonst machen, aber es war ein ganz respektables Leben, er fuhr einen
BMW
, und sie verhandelten mit ihm, um große Objekte, er trug Anzüge. Er war jemand. Und er musste nur noch selten die Tiere töten. Irgendwann hatte es aufgehört.
    Aber Lena hatte alles zunichtegemacht. Sie war schuld daran, dass er gleich am ersten Abend eine streunende Katze mit ein bisschen Salami angelockt und es wieder getan hatte. Als er das Fellbündel hinterm Haus zu den anderen gelegt hatte, war ihm die Idee gekommen.
    Das Gelände war lange Jahre nicht zur Vermittlung freigegeben. Es hatte sich herausgestellt, dass es eigentlich einer jüdischen Familie gehörte, die in den dreißiger Jahren um ihren Besitz gebracht worden war, und nach endloser Suche nach Erben und Streitereien und einigem Hin und Her war es in seinem Bestand gelandet.
    Ausgerechnet bei ihm. Ausgerechnet dieses Objekt.
    Es lag nur an ihm, ob er sich ein Bein ausriss dafür oder ob es in den Büchern unter «ferner liefen» abgeschrieben würde. Sie schleppten ein paar Objekte mit sich, aus denen nie etwas zu holen war, am Ende wurden sie für fast nichts verscherbelt.
    Er brachte Lena in der dritten Nacht dorthin.
    Im Haupthaus konnte er sie nicht lassen; ab und zu schnüffelten dort ein versprengter Wanderer oder ein paar neugierige Kids rum. Der Bunker war jedoch sicher. Niemand kam dort rein. Und raus auch nicht.
    Er würde ein paar Verbesserungen vornehmen und es ihr ein bisschen gemütlicher machen. Er war kein Unmensch.
    Als sie kapiert hatte, dass er sie nicht gehen ließ, war sie wieder ausgerastet und hatte es gesagt, kalt und ruhig: «Ich hätte es wegmachen sollen, aber ich hab es auf die Welt gebracht, und dann habe ich es nicht sehen können, ein Balg von einem Kerl wie dir.»
    Sie hatte es weggegeben. An fremde Menschen. Ihr Mädchen. Mein Mädchen. Mein Kind. Er hatte begonnen, es zu suchen. Er musste es finden. Er würde sich darum kümmern. Dem Kind sollte es nicht gehen wie ihm.

57
    Ich hatte drei weitere Versuche gebraucht, bis ich es endlich geschafft hatte, hinauf in den Schacht zu gelangen. Ich lag ausgestreckt, mit den Armen voran und war völlig erschöpft. Aber ich ruhte mich nicht aus. Die Zeit war eigentlich längst abgelaufen, aber vielleicht hatte ich mich auch zwischen der hellen und der dunklen Zeit verirrt, vielleicht blieb mir eine längere Frist, als ich dachte. So oder so: Er würde bald zurück sein.
    Ich holte tief Luft, um mich auf den nächsten Abschnitt meiner Flucht zu konzentrieren. Es gab kaum genug Platz für einen wirklich befreienden Atemzug. Der Schacht war eng, einen Zentimeter weniger, und ich hätte mich nicht rühren können.
    Ich robbte vorwärts, Stück für Stück, einmal spürte ich an meinen

Weitere Kostenlose Bücher