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Unsichtbare Blicke

Unsichtbare Blicke

Titel: Unsichtbare Blicke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Maria Reifenberg
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nichts. Um die Zeit gab es in der Gegend wenig Touristen, aber es gab welche. Ein Fremder wäre nur aufgefallen, wenn er nackt am Strand spazieren gegangen wäre oder auf dem Marktplatz das Kommunistische Manifest verlesen hätte.
    «Alle mochten Tania, restlos alle», sagte Petra Kronen, die die Ermittlungen leitete und das Dossier zusammengestellt hatte. «Es gibt tatsächlich nicht eine einzige negative Aussage über das Mädchen, fast ein bisschen beängstigend. Sogar der Ex-Freund, mit dem sie ein Dreivierteljahr zusammen war, schwärmt von ihr – obwohl sie Schluss gemacht hat.»
    Tania hatte sich am Morgen des Verschwindens wie jeden Tag verabschiedet, war zur Schule gegangen, hatte ein Referat im Biologieunterricht gehalten und nur in der letzten Stunde die Schulroutine durchbrochen.
    «Laut Auskunft der Sportlehrerin meldete Tania sich mit der Begründung ab, es gehe ihr nicht gut, weil sie ihre Tage habe», sagte Petra Kronen.
    Winterstein zuckte die Achseln. «Kommt das nicht häufiger vor?»
    «Bei Tania noch nie, weil sie Sport in fast jeglicher Form liebte. Außerdem hatte ihre beste Freundin Tania gerade vierzehn Tage vorher mit einem Tampon aushelfen müssen.»
    Tania war von zwei älteren Spielerinnen des Handballclubs am Dortmunder Hauptbahnhof gesehen worden, als sie einen ICE Richtung Hannover bestieg. Danach wurde sie von niemandem mehr gesehen. Von Hannover aus konnte sie Richtung Berlin, Sachsen, Hessen fahren, aber auch zu jedem Ort in Niedersachsen, Hamburg, an der Nordsee, selbst nach Flensburg oder Dänemark und natürlich direkt nach Mecklenburg-Vorpommern.
    «Über kurz oder lang finden sich bei jedem Ausreißer Gründe für das Verschwinden. Selbst die blitzsauber verputzten Fassaden bekommen Risse. Nicht bei Tania Stecker», sagte Petra Kronen.
    Lorenz Muthaus informierte die Runde über den Stand der Ermittlungen im Fall Celine. Bei der Erwähnung der Zahl, die der Täter auch auf dem Körper von Celine hinterlassen hatte, schaltete Miki sich ein.
    «Die Zahlen bringen uns im Moment noch nicht weiter. Ich habe zuerst mit Professor Bottiér, Mathematik-Guru an der Uni Bonn, gesprochen. Nichts, eine Zahlenfolge von 011 und 013 klingelt bei ihm nicht, auch nicht wenn man 015 und 017 dranhängen würde.» Saito räusperte sich. «Nun ja, Haus- oder Zimmernummern, war sein Tipp. War allerdings nur ein Witz. Ich habe mit einer Numerologin gesprochen, mir von einem Rabbi die Welt mittels Gematrie erklären lassen und sämtliche Bedeutungslisten für die Zahlen 11 , 13 und 15 , dazu babylonische, ostasiatische und biblische Zahlensymbolik durchforstet: Das ist ein Fass ohne Boden.»
    «Ich habe kapiert, dass wir damit nicht vorankommen», sagte Winterstein mit einem Schlag der flachen Hand auf den Tisch.
    «Wir verfolgen aber eine andere Theorie», sagte Stella nach einer kleinen Pause. «Theorie ist vielleicht noch zu viel gesagt. Es gibt eine Übereinstimmung bei beiden Opfern, eigentlich die einzige, die wir ausmachen konnten: Tania wurde in Berlin geboren und dort zur Adoption vermittelt. Genau wie Celine.»

18
    Ich wunderte mich über die totale Funkstille. Seit seiner E-Mail, die mir wahrscheinlich eine glänzende Note in der Deutschklausur bescheren würde, hatte Geronimo sich nicht mehr gemeldet. Im Anhang der E-Mail hatte ich die komplette Aufgabenstellung samt einiger Lektürehinweise gefunden. Der Vergleich einer Szene aus Ibsens
Nora
mit einem Abschnitt aus der
Bovary
! Auf diese Idee wäre keiner gekommen, ich auch nicht. Das Dokument stammte vom Computer unseres Deutschlehrers, daran bestand überhaupt kein Zweifel. Ich hatte Sarah einen Tipp gegeben, weil ich wusste, dass sie dichthielt.
    «Woher hat er das?», fragte Sarah nach der Schule. Ihre Laune war grandios. Eine halbwegs gute Note in Deutsch war für sie dreimal wichtiger als für mich.
    Wir saßen vor der Eisdiele am Friedensplatz. Sarah hatte mich zu einem Amarenabecher eingeladen, aus Dankbarkeit, aber sicher auch aus Neugier. Ich liebte diese künstliche Süße von Kirschen.
    «Woher soll ich das wissen?», gab ich zurück. «Er kennt sich gut mit Computern aus.»
    «Er hat den PC von Krömer gehackt. Oder den von der Schule», erwiderte Sarah. «Du musst ihn dir warmhalten, bis zum Abitur.» Sie lachte und verschüttete fast den Eiskaffee, an dem sie gerade nippen wollte. Ich fand es ein bisschen gruselig, dass er einfach im Computer von anderen surfte und überlegte, was er bei mir finden würde. Nichts, fast

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