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Unsichtbare Blicke

Unsichtbare Blicke

Titel: Unsichtbare Blicke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Maria Reifenberg
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wuchs, missbraucht hatte.
    «Es tut mir leid, ich konnte wirklich nicht mehr, ich mache es wieder weg», versuchte ich, sie zu beruhigen, aber mir war klar, dass die Dame nicht zu besänftigen und mein Versprechen kaum zu erfüllen war.
    Statt einer Antwort stocherte sie weiter mit der Harke durch das Gebüsch. «So ein junges Ding, mit dem schmierigen Kerl, du solltest dich was schämen», rief sie mir nach.
    Als ich Rotters Büro wieder betrat, drehte dieser gerade die dritte von drei neuen Zigaretten, steckte sich eine davon an und sagte: «Ihr solltet zur Polizei gehen.»
    «Die ist schon unterwegs», murmelte ich.
    «Was?», fragte Rotter.
    «Nichts, schon gut. – Ist er wieder in Ordnung?», fragte ich.
    Rotter schüttelte den Kopf. Nun segelte die Asche der Zigarette zwischen seinen Lippen auf die Tastatur. «Hab’s ihr erklärt», knurrte Rotter, erhob sich und zeigte erst jetzt, dass er unter dem fleckigen Bademantel nur ein Unterhemd und eine Feinrippunterhose trug. Der säuerliche Geschmack in meinem Mund meldete sich zurück. Mit meinem Computer unterm Arm verschwand er durch die Tür hinter dem Schreibtisch.
    «Nein», kiekste ich.
    «Er braucht Zeit, um das Ding ordentlich durchzuchecken», sagte Sarah.
    Ich drängelte mich an ihr vorbei und folgte Rotter. Der nächste Raum war ein schmaler Flur. Rotter wollte gerade die gegenüberliegende Tür öffnen, aber ich nahm ihm einfach meinen Computer aus der Hand.
    Er wehrte sich nicht, zuckte nur die Achseln und sagte: «Könnt vorne einfach zuziehen.» Dann verschwand er durch die Tür, und ich hörte ihn husten.
    Als wir aus dem Haus traten, stand tatsächlich die Polizei vor der Tür und sprach mit Rotters Nachbarin. Wir kannten den Beamten.
    Er hieß Ludger und war mit Sarahs ältestem Bruder zur Schule gegangen. Sarah behauptete, wenn Lude, wie alle in der Gegend ihn nannten, nur ein paar Kilometer weiter westlich, in Köln oder noch weiter, in Berlin, das Licht der Welt erblickt hätte, wäre ein Dealer oder Zuhälter aus ihm geworden, im besten Fall ein Türsteher oder alles zusammen.
    «Hi, Officer!», rief Sarah. Sie warf den Motorroller an.
    «Was ist mit dem Computer?», fragte ich.
    «Später, bei einem richtigen Kaffee.»
    Im Café wartete Sarah, bis Frau Kluth unsere Bestellung serviert und sich hinter die Theke verzogen hatte. Wir saßen am weitest entfernten Tisch, was der Frau überhaupt nicht passte; selbst ihr durch jahrelanges Lauschen trainiertes Gehör reichte nicht, um den Inhalt des Gesprächs abzuhören.
    «Rotter vermutet, dass der Typ einen Trojaner eingeschleust hat, wahrscheinlich hast du auf irgendwas geklickt, das er dir geschickt hat.»
    Ich dachte an das Foto, den Mond über Berlin, der meinen Bildschirmhintergrund lange geschmückt hatte, bis ich ihn gegen die Hunde ausgetauscht hatte.
    Sarah trank einen Schluck von ihrem Latte macchiato. Ihre gehobenen Augenbrauen und ihr eindringlicher Blick forderten mich zu einer Aussage auf. Mich ärgerte, es zugeben zu müssen, zumal Sarah selbst dauernd in irgendwelche Spam-Aktionen geriet, weil sie beim Chatten von der Neugier getrieben wurde.
    «Kann sein, aber da kannte ich ihn doch schon.»
    Die Worte waren noch nicht ausgesprochen, als mir auch schon ins Gehirn tröpfelte, wie dämlich dieser Satz klang. Andererseits hatte ich immer noch das Gefühl, ihn zu kennen. Wie konnte sich jemand über Monate so verstellen? Kein einziges Mal hatte er irgendeine der miesen Nummern abgezogen, die sich bei Internet-Psychos sonst nach der dritten Message andeuteten und direkt auf die Bannliste führten. Wir hatten über Dinge geredet, die man nur einem Freund erzählt.
    Über seine Angst, was werden würde, wenn er das Internat verlässt, über seine Eltern, die in seinem ganzen Leben nicht für ihn da gewesen waren, an ihr Fortkommen gedacht hatten, wo er nur störte. Er hatte sich für meine Musik interessiert, die gleichen Bücher gelesen und wirklich gelesen, nicht nur Zusammenfassungen gegoogelt. Er hatte mich getröstet, wir hatten gelacht.
    «Bei der Sache mit der Deutschklausur hätten die Warnlampen leuchten müssen», platzte Sarah in meine Gedanken. Auf ihrer Oberlippe trocknete der Milchschaum.
    Trotz allem musste ich lächeln. Ungeschminkt, mit Milchbart und irgendwie dieses abenteuerliche Glühen in den Augen, genau jetzt sollte eigentlich der Mann fürs Leben durch dieses Lokal laufen. Nicht Sven, Malte oder die anderen Kerle, auf die Sarah sonst stand.
    «Der Hammer kommt

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