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Unsichtbare Blicke

Unsichtbare Blicke

Titel: Unsichtbare Blicke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Maria Reifenberg
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aber noch», sagte Sarah.
    Ich seufzte nur.
    «Rotter meint, er hätte deine Festplatte manipuliert und alles beseitigt, das auf ihn hinweist, das muss er sich aber genauer ansehen, und das kann er erst in den nächsten Tagen. Hätte können. Wenn du das Ding nicht wieder mitgenommen hättest.» Sarah legte einen Finger an die Unterlippe, zog ein Spitzmäulchen. «Warte», sagte sie und fuhr mit Rotters krächzendem und leierndem Ton fort. «Dem Penner stellen wir eine Falle und dann ein paar von den serbischen Türstehern und
Dong
. Voll eins in die Eier. Der Typ fummelt nie mehr irgendwo rum. Ich hab da Kontakte.» Ohne jeden Zweifel fand Sarah die Idee des schmierigen PC -Händlers gut.
    «Du meinst das nicht ernst, Sarah?»
    «Doch, was willst du sonst machen? Felix hinschicken?»
    Felix hatte in der Sache noch gefehlt. Ich war so froh, dass er tausend oder noch mehr Kilometer entfernt durch den Balkan trampte.
    «Oder zur Polizei gehen?», stocherte Sarah weiter und betonte jedes Wort, als schlage sie vor, barfuß den Nordpol zu erkunden oder in einem Becken mit ausgehungerten Haien den Freischwimmer zu machen. «Oder wir fragen deinen Vater und seine Brüder des Lichts?!»
    Ich knallte Geld für den Kaffee auf die Tischplatte, die Gläser und die langstieligen Löffel klimperten, dann ging ich einfach raus.
    Frau Kluth rief mir noch Grüße an irgendwen nach und dass ich bald wiederkommen sollte. Draußen stapfte ich nach rechts die Straße hinunter, überquerte sie und störte mich nicht an den Rufen Sarahs. Sie holte mich vor dem Ladenlokal, das ich angesteuert hatte, ein. «Was war das denn jetzt?»
    «Mist», zischte ich. «Geschlossen.»
    Sarah schaute sich das Schaufenster an. «Was willst du denn hier?»
    «Ins Internet.»
    Ein türkischer Kulturverein hatte das ehemalige Kurzwarenlädchen nach der Pleite dieses letzten alteingesessenen Einzelhandelsgeschäfts gemietet. Die Aufregung war riesig gewesen, klar, das war sicher ein Camp zur Ausbildung neuer Terroristen, davon waren tatsächlich einige im Ort überzeugt. Neben ein paar Tischen und Stühlen und einer Theke gab es drei Kabinen mit Internetanschluss und Telefonen.
    Der Laden öffnete erst abends.
    «Das können wir doch bei mir machen?», schlug Sarah vor.
    «Damit er dann auch noch in deinem Zimmer hockt?!»
    Sarah zuckte die Achseln.
    Beim Blick auf die Uhr fiel mir auf, dass ich seit einer knappen Stunde im Altenheim erwartet wurde.
    «Ich muss das selbst aus der Welt schaffen, und zwar, bevor meine Eltern zurück sind. Komm heute Abend zu mir, ich nehme den letzten 143 er nach der Schicht.»

11 . Januar 1990
    Tommi war einfach zu Fuß gegangen. Niemand hatte ihn gehindert. Alles war durcheinander, er war durcheinander. Die Menschen sahen anders aus, die Autos, ein paar Leute lachten, weil er dumme Fragen stellte. Vier Tage hatte er gebraucht. Nachts war es kalt gewesen, sehr kalt, aber er war nicht empfindlich, und er hatte Leute gefunden, die ihm zu essen gaben, und er hatte einmal in einer Scheune geschlafen, ohne zu fragen.
    Sonst hatte er seine Geschichte erzählt, und die Leute hatten Mitleid, und sie hatten gesagt, jetzt werde alles besser, die Wende, sie nannten es die Wende. Ein Typ hatte ihn im Auto mitgenommen und ihm ein Angebot gemacht, aber er hatte verstanden, was der Typ wollte, und ihn verprügelt, mit allen Tricks, wie Monk es ihm beigebracht hatte.
    Nach Schweinfurt war er gegangen, zu Fuß. Von da waren die Pakete gekommen, vorher, als alles noch in Ordnung gewesen war, die Pakete waren vielleicht schuld, deshalb, weil sie schöne Sachen gebracht hatten, die es drüben nicht gab, drüben.
    Tante Hetti und Onkel Wulf. Sie waren noch da. Sie hatten ihm ein paar Klamotten geschenkt und fünfzig Westmark und die Bahnfahrkarte.
    «Du kannst anrufen», hatte Onkel Wulf gesagt. Die Nummer hatte er für ihn gewählt, aber es war niemand drangegangen. «Vielleicht sind sie in der Hütte», hatte Onkel Wulf gesagt, da haben sie kein Telefon, aber es ist nicht weit, nur ein oder zwei Kilometer von ihrem Haus.
    Zweimal musste er umsteigen, und das letzte Stück sollte er mit dem Bus fahren oder per Anhalter, aber er ging wieder zu Fuß, er war so viele Jahre nicht zu Fuß gegangen, nicht weiter als bis zum Zaun und daran entlang, aber nie bis zum Meer.
    Die Turnschuhe von seinem Vetter Rolf waren fast zwei Nummern zu klein, aber von einer amerikanischen Firma, Rolf hatte gesagt, das sei die coolste Marke, und alle von drüben

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