Unsichtbare Blicke
unter dem Namen Sonnleitner nach Dornbusch gezogen.
Immerhin hatte eine schnelle Abfrage bei den örtlichen Kollegen ergeben, dass es keine Probleme gegeben hatte, jedenfalls lag keine Vermisstenmeldung vor. Horst und Elke Sonnleitner seien ein wenig eigenwillige, aber unauffällige Leute, hatte es geheißen, wobei sich das
eigenwillig
wohl auf die Zugehörigkeit zu einer Freikirche bezog, die man im Ort argwöhnisch beäugte. Über Luisa, die unter dem Namen Josefa gemeldet war, lagen keine Informationen vor.
«Und jetzt?», fragte Saito.
«Drehen wir eine Runde durch den Ort und kommen später wieder.»
Auch zwei Stunden später hatte sich nichts verändert. Das Haus der Sonnleitners schmorte immer noch in der sich langsam zum Horizont neigenden Sonne. Der Kaffee, den sie im Nachbarort getrunken hatten, drückte auf Stellas Blase.
«Soll ich dich hinter einem Heuballen rauslassen?», witzelte Saito.
Stella zeigte ihm einen Stinkefinger. «Der Kollege hat gesagt, er habe das Mädchen gestern noch gesehen.» Sie kramte in ihrer Tasche nach dem Handy und wählte die Nummer der Dienststelle, aber niemand hob ab. «Die Erfindung der Mailbox ist wohl an dem Kaff vorbeigegangen.»
«Oder der Streifenwagen steht hinter einem Schuppen, und die Kollegen gönnen sich eine Runde im Baggersee.»
Ein paar Minuten darauf hatte Stella endlich Polizeimeisterin Leppert am Apparat. Stella meldete sich mit ihrem vollen Dienstrang und der Bezeichnung der Sonderermittlungseinheit. Das hinterließ Eindruck. Silvia Lepperts Stimme nahm Haltung an, und Stella konnte sich vorstellen, wie die Polizeimeisterin den Rücken straffte.
«Haben Sie gerade schon mal, ja, sorry, ich musste mal, und Lude ist gerade unterwegs.»
«Ist
Lude
zufällig Polizeiobermeister …», Stella stockte.
Saito flüsterte ihr den Namen zu.
«… Ludger Wölke, mit dem ich heute Morgen gesprochen habe?»
«Ja, Ludger, aber wir sagen alle Lude, also privat, im Dienst natürlich nicht, da sagt keiner Lude.»
Außer Polizeimeisterin Leppert, dachte Stella. «Funken Sie ihn bitte an. Wir warten vor dem Haus der Sonnleitners auf ihn.»
Am anderen Ende herrschte Stille. Nur ein heftiges Schlucken drang zweimal durch die Leitung.
«Hallo?», fragte Stella.
«Ist etwas … passiert?», fragte Silvia Leppert.
«Er soll sich bitte bei uns melden, schnell. Oder besser noch, er soll vorbeikommen.» Stella versuchte, nicht allzu genervt zu klingen. «Zum Haus der Sonnleitners.»
Zwanzig Minuten später rauschte der Streifenwagen mit Ludger
Lude
Wölke über die staubige Landstraße heran. Der Fahrstil hätte durchaus das volle Programm, mindestens aber Blaulicht gerechtfertigt. Stella war froh, dass der Dorfsheriff darauf verzichtet hatte.
Polizeiobermeister Wölke hatte nasse Flecken auf der Uniformhose, trug keine Socken, und auch seine schwarzen Haare glänzten feucht. Saitos Lippen formten lautlos das Wort
Baggersee
.
«Wir müssen dringend mit den Sonnleitners sprechen», eröffnete Stella ohne lange Umstände das Gespräch.
«Da seid ihr hier falsch.»
«Ist das nicht das Haus der Sonnleitners?», fragte Saito.
Wölke nickte. «Doch … schon …»
«Und?»
«Die sind in Polen.»
«In Polen?»
«Auf Wallfahrt. Glaube ich.»
«Und warum haben Sie das heute Morgen am Telefon nicht gesagt?» Stella spürte, wie die Ungeduld in ihr hochstieg. «Und die Tochter?»
«Von den Sonnleitners?»
Stella platzte der Kragen. «Von wem denn sonst!», blaffte sie den Kollegen in Uniform an.
Saito trat einen Schritt vor. Er überragte Wölke um gut einen Kopf. «Herr Wölke … oder soll ich
Lude
sagen? Wir ermitteln in einer Mordsache und haben große Sorgen um die Sicherheit von Josefa Sonnleitner. Uns würden im Moment präzise und schnelle Antworten sehr weiterhelfen.»
Obwohl Stella sich bisher immer alleine zu helfen gewusst hatte, war sie Miki dankbar; auf die Auseinandersetzung mit einem bockigen Landpolizisten hatte sie keine Lust.
«Die Josie ist hiergeblieben, die steht nicht auf das ganze Halleluja von ihren Eltern.» Wölke grinste dreckig. «Und sie hat auch gleich die Gelegenheit genutzt, hab sie gestern bei dem Computerfritzen aufgegabelt, in die Hecke der Nachbarin hat sie gekotzt, musste mich ganz schön ins Zeug legen.»
«Sie mussten sich ins Zeug legen?», fragte Saito.
«Na, um die alte Prowinski zu beruhigen, die Nachbarin. Wir wollen hier keinen Ärger, verstehen Sie.»
«Verstehe», schaltete Stella sich wieder ein.
«Der
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