Unsichtbare Blicke
in ihrer Hand. Hatte der Akku aufgegeben?
Mit ein paar schnellen Griffen schaltete sie es an; der Akku funktionierte, wahrscheinlich hatte sie während des Gesprächs mit der Hebamme daran herumgefummelt. Ein Piepsen kündigte sechs eingegangene Anrufe und schließlich eine SMS von Miki Saito an. Sie las zuerst die Nachricht: «Wir haben Sarah!», lautete sie.
Stella wählte die Nummer ihres Kollegen, aber Saitos Mailbox sprang an. Auch Muthaus und Kronen erreichte sie nicht, im Einsatzraum ging irgendwer an den Apparat; Stella kannte ihn nicht, und er sei auch nur da, um das Telefon zu bewachen, beschied sie der müde klingende Mann. Sie ließ sich mit Winterstein verbinden.
«Der Chef ist mit der Borden essen, und die anderen sind im Krankenhaus», tschilpte Wintersteins Sekretärin. Alle nannten Julia Moll
Vögelchen
, da nicht nur ihre Physiognomie, sondern auch ihre Stimme irgendwie an einen Kanarienvogel erinnerte. «Sie ist nicht tot, noch nicht.» Vögelchen war bei aller Zartheit ihres Äußeren wenig zimperlich. Gelegentlich stockte einem der Atem bei ihren Bemerkungen. «Aber mehr weiß ich nicht.»
«Welches Krankenhaus?»
«In Rotterdam.»
«Rotterdam?»
«Sie wurde auf einem Containerfrachtschiff gefunden. Im Hafen.»
Stella stöhnte in den Hörer; sie ahnte Übles. «Okay, dann mache ich mich auf den Weg nach Rotterdam.»
«Das bringt nichts, die Kleine liegt im Koma.»
«Vögelchen …» Stella schluckte und biss sich auf die Lippen.
«Schon recht», gluckste die Frau am anderen Ende, «vielleicht spreche ich Sie demnächst mit dem Namen an, den man
Ihnen
hier gegeben hat. Also, ich höre, ich notiere?!» Da Stella nicht sofort antwortete, fügte sie hinzu: «Mein Spitzname ist nicht
die Ahnungslose
. Wenn jemand in diesem Ton
Vögelchen
sagt, will er was.»
«Ich brauche alles über eine Lena oder Helena Bruckner, Geburtsdatum wahrscheinlich der 18 . August.»
«Welches Jahr?»
«Das weiß ich nicht hundertprozentig. Die Jahrgänge von 1974 bis 1978 kommen in Frage.»
«Alles klar, ich kümmre mich drum.»
«Sie sind ein Schatz.»
«Und Sie wissen, dass mein Chef es nicht gerne sieht, wenn man mich zweckentfremdet.»
«Eben drum!»
Julia Moll hatte kaum aufgelegt, als endlich Saito zurückrief. Er hatte keine guten Nachrichten. Sarah Trautmann war zwar mit dem Leben davongekommen, ob sie wieder aufwachen würde, war jedoch unklar. Der Arzt in der Rotterdamer Klinik hatte ihnen wenig Hoffnung gemacht.
«Gibt es Hinweise auf unseren Täter?», fragte Stella. «Eine Zahl? 015 ?»
«Es wurde keine Nummer gefunden.»
Sarah war in einem privaten Container entdeckt worden, und das auch nur, weil der Behälter nicht ordnungsgemäß verschlossen worden war und er sich beim Umladen vom Binnenfrachter geöffnet hatte; ein Teil der Fracht – der komplette Hausstand eines Frankfurter Bankmanagers, dessen sechsköpfige Familie nach Neuseeland umzog – war auf den Kai gedonnert, bei der Überprüfung des Inhalts hatte ein Mann vom Zoll das Mädchen in einer antiken Truhe gefunden.
«Wie es aussieht, hat er sie genau wie die anderen zu ertränken versucht. Dann hat er sie in den Container gepackt, aber sie war nicht tot. Es ist nicht ganz so einfach, an den Container ranzukommen.»
«Wo wurde sie in den Container gelegt?»
«Auf keinen Fall in Rotterdam. Die Firma RCL RheinContainerLogistic bietet einen regelmäßigen Shuttle auch für Einzelcontainer, private Kunden usw. Die pendeln regelmäßig zwischen Rotterdam und Basel und retour. Er kann sie allerdings frühestens in Mannheim an Bord gebracht haben, dort wurde der Container verladen; danach kommen noch Mainz, Andernach, Bonn, Neuss und Emmerich in Frage.»
«Neuss», wiederholte Stella.
«Jepp, keine fünfzig Kilometer vom Wohnort des Mädchens. Allerdings meint der Typ von der Reederei, es sei sehr unwahrscheinlich. Das Schiff liegt nicht lange in den Häfen, eine Menge Leute, wenig Zeit, um einen menschlichen Körper aufs Schiff zu tragen, den Container zu knacken und so weiter. Am einfachsten wäre es, bevor die Kiste überhaupt in die Hände des Spediteurs kommt, also vorm Haus der Mayers.»
«Wer ist das?»
«Der Banker. Oder in der Lagerhalle des Spediteurs. Oder solange der Container im Mainzer Hafen stand. Das waren auch immerhin zwei Tage.»
«Trotzdem. Möglich ist alles. Mainz, Andernach, Bonn, Neuss, Emmerich.»
«Soll ich Leute darauf ansetzen?»
«Für Mainz, ja, und bei dem Banker. Wenn das nichts ergibt,
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