Unsichtbare Kräfte
Freiherrn von Winterloo mehr und mehr erschüttert. Nach dem Abschied des Freundes zog er sich ins Laboratorium zurück. Und gegen Abend fand der alte Diener seinen Herrn ohnmächtig am Boden liegen.
Mit ein paar Hausmitteln wurde der Kranke zum Bewußtsein gebracht, während ein Bote den Arzt holte. Wiederholt bat der alte Friedrich den Freiherrn um die Erlaubnis, an Doktor Arvelin zu depeschieren. Der war noch über europäischem Boden, konnte leicht zurückgeholt werden. Doch Winterloo weigerte sich hartnäckig, hielt den Anfall für ein vorübergehendes Unwohlsein.
Es war zur Nachmittagsstunde des nächsten Tages. Der Freiherr saß am Schreibtisch. In Gedanken versunken, überhörte er den Eintritt Franz Harrachs.
Der räusperte sich laut. Winterloo, aufgeschreckt, warf den Kopf zur Seite, unfähig, seine Betroffenheit zu verheimlichen. Ohne vorläufig von Franz Notiz zu nehmen, legte er die Briefschaften in den Schreibtisch zurück, schloß ihn ab.
»Es wäre mir lieb, Franz, wenn du dich in Zukunft stets durch Friedrich anmelden ließest. Ich bin nicht zu jeder Stunde geneigt, Besuch zu empfangen.«
Der Neffe spielte den Gekränkten. »Aber, Onkel! Nur die Sorge um dich hat mich hergetrieben.«
Winterloo trat zum Fenster.
»Du gestattest doch, Onkel, daß ich zum Kaffee bleibe? Ich bin in aller Hast abgefahren, bin hungrig, durstig ...«
Ohne die Antwort des Freiherrn abzuwarten, wandte er sich um, ging hinunter zu seinem Kutscher. »Ausspannen! Wir bleiben hier!«
Kaum hatte sich die Tür hinter ihm geschlossen, als Winterloo auf den Schreibtisch zueilte. Diese Papiere, besonders das Testament - Franz hatte erspäht, in welches Fach er sie gelegt - sein Mißtrauen gegen den Neffen war gerade in letzter Zeit immer stärker geworden. Er öffnete die Schublade, nahm die Papiere heraus, barg sie unter seinem Rock.
Da trat Franz Harrach wieder ein. Unwillkürlich ging Winterloos Hand zu der Brusttasche. Er atmete befreit. Mochte der suchen, wenn ...!
Doch nun spürte er plötzlich, wie die Knie unter ihm schwach wurden.
Er schleppte sich zum Lehnstuhl.
Seine Hand fand den Klingelknopf. Der alte Diener trat ein.
»Bring mich zu Bett, Friedrich!«
Der legte seinen Arm um die Schultern seines Herrn, hob ihn hoch. Franz Harrach wollte helfen, doch Winterloo stieß ihn zurück.
»Laß mich in Frieden, du! Friedrich, sorge dafür, daß niemand außer dir mein Schlafzimmer betritt!« —
Ein paar Stunden hatte der Freiherr im Halbschlummer zugebracht. Neben ihm saß sorgenvoll der alte Diener.
»Gib mir die Pulver, die der Arzt verordnete!« kam’s endlich aus dem Munde Winterloos. Friedrich mischte den Trank. Nach einer Weile belebte sich das Auge des Freiherrn. Er fühlte sich ganz wohl.
»Geh nun, Friedrich! Doch halte dich bereit, wenn ich klingle!«
Wieder allein, fühlte er sich abermals von Schwäche übermannt. »Nein - nein!« stöhnte er leise. »Ich muß mich jetzt aufrecht halten ... Das Testament - wo tu’ ich’s hin? Wo ist ein Ort, der vor Franz Harrachs Spürsinn sicher wäre? Ah - das Mausoleum!«
Der Freiherr mischte sich noch eins der Pulver, ergriff seinen Stock, ging nach unten. Friedrich eilte herbei, sah seinen Herrn bekümmert an.
»Keine Sorge, Friedrich! Ich fühle mich wieder ganz wohl. Will einen kleinen Spaziergang ins Freie machen.«
»Unmöglich, Onkel Winterloo!« Franz, wie aus dem Boden gewachsen, stand plötzlich neben ihm. »Unmöglich, daß du allein gehst! Die Pflicht verlangt, daß ich dich begleite.«
Winterloo wollte eine heftige Antwort geben, doch dann besann er sich. »Wenn es dir Vergnügen macht, Franz - ich will dich nicht abhalten!«
Eine Weile schritt er neben Franz durch die weiten Gänge des Gartens. An einer Stelle, wo die Gänge sich kreuzen, lag das Mausoleum vor ihnen. Doch kaum hatte Winterloo den ersten Schritt nach dem Bau hin getan, wurde Franz sichtlich unruhig.
»Verzeih, lieber Onkel, ich vergaß, mein Gepäck abzuschließen. Du bleibst ja wohl auf der Bank. Ich eile derweil ins Schloß, komme gleich wieder.«
Der Freiherr nickte ihm freundlich zu.
»Ein halbes Stündchen, Franz! Länger bleibe ich nicht.«
Der hatte sich schon gewandt, ging zum Schloß.
Merkwürdig, weshalb Franz den harmlosen Bau scheut!
Mit schnellen Schritten ging Waterloo auf das Mausoleum zu, öffnete die Tür, trat ein.
Die schon belegten Grüfte waren mit schweren Steinplatten abgedeckt, auf denen die Namen der Verstorbenen eingemeißelt waren. Unter
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