Unsichtbare Kräfte
existiert ein Testament, von meinem Freund eigenhändig geschrieben ...«
»Ein Testament?« unterbrach ihn Franz erregt.
». ein Testament, in dem der Freiherr anderweitig über sein Vermögen verfügte ...«
»Unmöglich! Wo ist das Testament?«
»Der Freiherr verschloß es vor meinen Augen in seinem Schreibtisch.«
Ein triumphierendes Lächeln. »Nein, Sie irren! In diesem Schreibtisch lag kein Testament. Ich habe sofort nach dem Hinscheiden des Oheims die Schlüssel an mich genommen, alles Wichtige durchgesehen - auch im Schreibtisch. Natürlich zweifle ich keineswegs an Ihren Worten, Herr Doktor! Es mag sein, daß der Freiherr in einem Testament genauere Bestimmungen traf. Daß aber niemand anders als meine Schwester und ich als Haupterben vorgesehen sind, dürfte doch außer Frage stehen!«
Arvelin unterdrückte die Worte, die ihm auf der Zunge schwebten.
»So wird es Sache des Gerichtes sein, den Verbleib des Testamentes festzustellen«, sagte er gelassen und verabschiedete sich.
Mit zitternden Händen schloß er in seinen Räumen den Schreibtisch auf.
Hastig durchwühlte er ein Fach. Atmete erleichtert auf, als er einen Brief fand, den der Freiherr an ihn gerichtet. Der Inhalt besagte, daß der Baron von Winterloo Doktor Arvelin zu seinem Testamentsvollstrecker ernannte.
Sorgfältig barg Arvelin das Schriftstück in seiner Brusttasche. Jetzt sah er den Weg klar vor Augen, den er gehen mußte.
*
Die Nacht war schon längst hereingebrochen, als ein Wagen vorfuhr, der Adeline Harrach zum Schloß brachte. Franz führte seine Schwester in das Arbeitszimmer, erzählte ihr von Arvelins Hiersein und seiner Unterredung mit ihm.
»Du weißt bestimmt, Franz, daß das nicht im Schreibtisch liegt?«
»Adeline! Nicht einmal - zehnmal habe ich den Schreibtisch durchstöbert!«
Sie klingelte, ließ sich einen kleinen Imbiß geben. Noch während sie aß, begann sie mit Franz die Durchsuchung des Zimmers. Der Schreibtisch interessierte Adeline am meisten. Mit einem Zentimetermaß prüfte sie all seine Abmessungen, besonders die der Schubkästen. Vielleicht konnte das Testament in einem Geheimfach verborgen sein.
Endlich gab sie ihr Mühen auf.
»Du warst doch in den letzten Tagen vor dem Tode des Oheims hier, Franz. Kannst du dich erinnern, daß er einmal diese Räume verließ? Vielleicht, daß er es doch woanders versteckt hätte?«
Franz schüttelte den Kopf. »Nein! Ich bin ihm ja stets auf den Fersen geblieben. Am Tage vor seinem Tode hat er allerdings das Zimmer verlassen, ist in meiner Begleitung in den Garten gegangen und war dann kurze Zeit im Mausoleum. Ich mußte, weil ich etwas vergessen hatte, ins Schloß zurück. Das dauerte nicht lange.«
Adeline öffnete bedeutsam die Augen. »Ah - im Mausoleum? So müssen wir auch dort suchen! Wenn nicht heute, so an einem der nächsten Tage.«
*
Es war am folgenden Nachmittag. Die Geschwister hatten sich nach der Mittagsmahlzeit zur Ruhe hingelegt. Ein Wagen fuhr vor, brachte Notar Hartwig aus Neustadt, einen alten Bekannten Arvelins, den er telefonisch zu sich gebeten. Lange saßen sie in Arvelins Zimmer zusammen.
»Ich habe die beste Hoffnung, mein lieber Dr. Arvelin, daß alles nach Wunsch verlaufen wird. Der Brief des Freiherrn, in dem er Sie zum Testamentsvollstrecker ernennt, muß die Bedenken des Nachlaßrichters zerstreuen. Ich denke auch im Laufe des morgigen Tages eine Verfügung zu erwirken, die allem Rechnung trägt. Vor allem natürlich den Harrachs das weitere Verweilen im Schloß untersagt. Wie sich der Nachlaßrichter zu Ihren sonstigen Wünschen stellt, kann ich vorläufig nicht überschauen. Das eine möchte, ich Ihnen natürlich ans Herz legen: daß der mutmaßliche Erbe, Oswald Winterloo, sich so bald wie möglich in den Besitz von beweiskräftigen Papieren setzt, die ihn gerichtlich legitimieren.«
*
»Es tut mir von Herzen leid, lieber Droste, daß Sie unseres großen Unternehmens wegen gezwungen sind, bis morgen hierzubleiben. Ich kann es wohl verstehen, wie es Sie nach Winterloo zieht. Morgen fliegen wir zusammen übers Meer, um dem Toten die letzte Ehre zu geben. Aber mir ist das heilige Pflicht. Wo waren wir ohne das Geschenk seiner genialen Erfindung? Was die kleine finnische Werft hier in der kurzen Zeit schon geleistet hat, übersteigt meine kühnsten Hoffnungen.«
Kapitän Wildrake deutete auf den schnittigen Eisenbau, der aus Spanten und Blechen auf der Helling emporwuchs.
»Hallo, da drüben!« riefen ein paar von den
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