Unsichtbare Kräfte
Robert Wildrake habe die Explosion der »Stella« veranlaßt, nicht zu erbringen waren.
Da kam eine Funknachricht von dem französischen Dampfer »Hirondelle«, die das Dunkel, das über der Katastrophe im Amazonas lastete, aufhellte. Der französische Dampfer, auf der Fahrt von Hawaii nach Rio de Janeiro, empfing am sechzehnten, abends elf Uhr, folgendes Telegramm:
»Hier Kapitän Robert Wildrake. Ich erkläre auf mein Wort, daß ich an dem Angriff auf den Munitionsdampfer >Stella< keinen Teil habe. Dieses kühne Stück ist von meinem Freund, dem früheren venezolanischen Oberleutnant Antonio Barradas, ganz allein in folgender Weise ausgeführt worden.«
Die Welt verhielt den Atem.
Barradas, durch Gewaltstreich im Besitz von Paß und Uniform eines brasilianischen Trainsoldaten - einen Kraftwagen weggenommen, mit gefälschtem Auftrag zu einem Depot gekommen - den Chauffeur eines Lastautos, der Lebensmittel zu einer Wachkompanie nach Obidos zu bringen hatte, heruntergeholt, geknebelt, der Uniform beraubt - dann zur Wachkaserne in Villa Bella gefahren, Motordefekt vorgetäuscht - die Nacht dort geblieben - zwei Patrouillengänger am Rande des Hanges niedergeschlagen - vor Passieren der »Stella« die mitgeführte Bombe auf der Mitte des Flusses verankert, dann elektrisch ausgelöst.
Die Bombe. Fünfzig Pfund brisantesten Sprengstoffs in einer Stahlhülle - Die Kugel von starken Pneumatikwülsten umhüllt - im Augenblick, als die »Stella« nahte, vom Land aus zur Explosion gebracht.
Der kühne Held auf der Flucht in das Unheil der stürzenden Erdmassen gerissen - nach tagelanger Bewußtlosigkeit in einem brasilianischen Militärlazarett wieder erwacht - in der folgenden Nacht trotz ernster Verletzungen entflohen. - Und nun in Sicherheit.
Das alles in Schlagzeilen zwischen dem ausführlichen Bericht, wie ihn die brasilianischen Zeitungen nach dem Telegramm der »Hirondelle« brachten. Die Schlußworte dieser Radiodepesche Wildrakes veröffentlichten nur die wenigsten Blätter:
»Ebenso wie ich meinen Freund Barradas zu dem von ihm allein ersonnenen, von ihm allein durchgeführten Heldenstück beglückwünsche, beneide ich ihn darum. Wenn ich den Hergang dieser Tat bekanntgebe, so tue ich es, um dem Ehre und Ruhm zu geben, der sie verdient!«
In das peinliche Schweigen der brasilianischen Presse schlug das Höllengelächter der Welt. Das eine war sicher: Der Name Barradas würde so bald nicht aus der Geschichte des Amazonas verschwinden, eine spätere Zeit würde das Urteil fällen.
Sachverständige schätzten die Zeit, um den Fluß wieder fahrbar zu machen, auf wenigstens sechs Monate. Und während noch die dunklen Rauchwolken der Explosion wie ein Fanal am Himmel standen, vollzogen sich die Ereignisse, die, schon längst erwartet, losbrechen mußten ...
Die venezolanische Regierung gestürzt! Oberst Guerrero zum Diktator ernannt!
In der auf die Katastrophe folgenden Nacht war Oberst Guerrero im Flugzeug mit wenigen Getreuen nach Caracas gekommen, wo die Truppen sofort zu ihm übergingen. Die Regierungsmitglieder wurden verhaftet, sämtliche Amtsgebäude besetzt. Am nächsten Morgen verkündeten Maueranschläge den Bewohnern, daß Guerrero von der neuen Regierung zum Präsidenten mit unbeschränkten Vollmachten ernannt sei.
Das ganze Land, geführt von der Presse, begrüßte den Umschwung der Dinge mit Freuden. Überall in den großen Städten Volksmeetings, in denen man in begeisterten Resolutionen dafür eintrat, den Kampf gegen Brasilien mit allen Kräften fortzusetzen. Von überallher aus dem Lande liefen Petitionen ein, Wildrake und seine Kameraden unverzüglich zurückzurufen.
Die Antwort Guerreros war Kündigung des Waffenstillstandes mit vierundzwanzigstündiger Frist. Der Dank Wildrakes bestand in einem Überfall auf das vor Bahia liegende brasilianische Panzergeschwader, dem er durch Bewerfen mit riesigen Lufttorpedos schwersten Schaden zufügte.
In allen Teilen Brasiliens dasselbe Bild wie ein Jahr früher bei Kriegsausbruch: die während der Friedensverhandlungen in immer größerem Maße erfolgten Entlassungen der Reserven und Leichtverwundeten wurden rückgängig gemacht, alle Entlassenen aufs neue zu den Fahnen gerufen.
Doch diese zweite Einberufung vollzog sich nicht so reibungslos wie die erste. Die Mannschaften, nach den Schrecken des ersten Feldzuges froh, wieder im Kreis ihrer Angehörigen die Freuden des Friedens zu genießen, mußten teilweise mit Gewalt zu den Fahnen geholt werden.
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