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Unsichtbare Spuren

Unsichtbare Spuren

Titel: Unsichtbare Spuren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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aggressiver. Sie hat sogar einmal eine Lehrerin körperlich angegriffen, weil sie keine Widerworte ertragen konnte. Mel musste immer das letzte Wort haben. Sie hat gestohlen, sie hat sich rumgetrieben, und ihre Ausdrucksweise war alles andere als gewählt. Ihre Lieblingsausdrücke entstammten alle der Gossensprache, und die wird in diesem Haus nicht gesprochen. Sie hat sogar mich einmal geschlagen, das ist noch gar nicht so lange her. Eigentlich wollten wir sie nach diesem Vorfall nicht mit auf Klassenfahrt schicken, aber schließlich dachten wir, vielleicht ändert das etwas an ihrem Verhalten. Wie gesagt, sie war aggressiv, unberechenbar und gewalttätig. Sie hat gelogen, wenn sie den Mund aufgemacht hat, und wir haben kein Mittel gefunden, das zu ändern. Mein Mann und ich haben uns immer wieder gefragt, was wir wohl falsch gemacht haben, aber wir wissen es nicht. Wir haben uns den Kopf zermartert, nächtelang diskutiert, aber wir sind zu keinem Ergebnis gelangt. Wir kennen durch unsern Beruf einige Therapeuten, die bereit gewesen wären, sich ihrer anzunehmen, aber Melanie hat es nicht zugelassen. Als ob sie gespürt hätte, was wir wirklich von ihr wollten. Ich weiß, es ist schlimm, so über ein Kind zu sprechen, das man großgezogen hat, aber es ist die ungeschminkte Wahrheit. « Sie zuckte mit den Schultern, ein paar Tränen liefen ihr über die Wangen. Sie nahm ein Taschentuch und putzte sich beinahe geräuschlos die Nase und behielt das Tuch in der Hand. » Wir haben Melanie nie greifen können, sie war wie ein Aal, der einem permanent entgleitet. Sicher bin ich traurig, dass sie ein solches Ende genommen hat, auf der andern Seite bin ich froh, endlich zu wissen, was passiert ist. «
    Santos atmete ein paarmal tief durch. Sie hatte mit allem gerechnet, doch nicht mit einer derartigen Offenheit seitens der Eltern.
    » Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten? «, fragte Katja Schöffer. » Ich kann auch einen Kaffee kochen, wenn Sie möchten. Sie haben noch eine lange Fahrt vor sich. Ich stamme nämlich auch aus Kiel «, sagte sie mit einem liebenswürdigen Lächeln. Noch vor wenigen Minuten schien sie einem Nervenzusammenbruch nahe, und jetzt wirkte sie wie befreit. Die Ungewissheit hatte ein Ende. Die Ungewissheit, ob sie ein Kind verloren hatten, das nicht das eigene war, das viele Probleme bereitet hatte und das doch irgendwann fehlen würde.
    » Machen Sie sich keine Umstände «, sagte Santos, doch Katja Schöffer war bereits aufgestanden und ging in die Küche .
    » Meine Frau hat Recht, es hat keinen Sinn, etwas zu beschönigen, wo es nichts zu beschönigen gibt. Melanie war kein schlechtes Mädchen, allein die Chemie zwischen uns und ihr hat zu keiner Zeit gestimmt. Ich habe sogar schon mit de m G edanken gespielt, sie auf ein Internat zu schicken, wo sie aber mit Sicherheit nicht lange geblieben wäre. Entweder wäre sie abgehauen, oder sie wäre rausgeflogen. «
    Schöffers Frau kam zurück und sagte: » In fünf Minuten ist der Kaffee fertig. «
    » Ich habe gerade erzählt, dass wir darüber nachgedacht hatten, Mel aufs Internat zu schicken. Mel hat nie zur Ruhe gefunden, sie war ständig aktiv, ständig auf Achse, eine vollkommen ruhelose Person. Wir haben versucht ihr Anstand und Manieren beizubringen, nicht mit Schlägen, wie Sie vielleicht denken mögen, nein, wir haben sie nie angerührt, denn ich hasse es, wenn Kinder geschlagen werden, aber sie hat sich geweigert, auch nur einen Ratschlag anzunehmen. Sie ist zweimal von der Schule verwiesen worden, und zweimal habe ich es geschafft, dass sie doch bleiben durfte. Und was hat sie gemacht? Sie hat mich ausgelacht, sie hat mich verhöhnt und als Schlappschwanz bezeichnet. Das ist vielleicht ein Gefühl, wenn eine Vierzehn- beziehungsweise Fünfzehnjährige einem so etwas ins Gesicht schleudert. Na ja, das wird jetzt nicht mehr geschehen, obwohl ich zu gerne erfahren hätte, was in ihr all die Jahre über vorgegangen ist. Wir werden es nie herausfinden. «
    » Hatte sie auch gute Seiten? «, fragte Henning lakonisch, der sich nicht vorstellen konnte, dass ein fünfzehnjähriges Mädchen, das fast seit seiner Geburt in einem Akademikerhaushalt groß geworden war, so viele negative Eigenschaften besessen haben sollte.
    » Ich kann mir vorstellen, was für einen Eindruck Sie jetzt von uns haben müssen, und ich bitte dies zu entschuldigen. Natürlich hatte sie auch gute Seiten, aber die hat sie hervorragend zu verbergen gewusst. Sie hat sie nur

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