Unsortiertes
ihn
intensiv an. „Das macht alles, aber keinen Sinn! Also muss es ein tiefer Bruch
sein, der dich antreibt, Sassnitz zu verlassen.“
Schweigen. „Und was wäre, wenn es so wäre?“
Die Wahrscheinlichkeit, dass ich mit dem Gesagten richtig lag, war mehr
als gegeben. Wie sollte ich jetzt vorgehen? Ich brauchte Antworten! „Junior ist
also schwul und Mama ist dem Stiefvater hörig?“
Schweigen. „Ja!“
Ich strich über das Lenkrad. „Das Verhältnis zu Muttern scheint auch
nicht so das Beste zu sein, … ich vermute mal, du hast noch jüngere
Geschwister, die … von diesem Stiefvater sind. Habe ich recht?“
Schweigen. „Ja!“
Ich atmete tief durch. „Dann frage ich mich jetzt ernsthaft, was du in
Hamburg willst?“
Schweigen. „Vielleicht … einen Neuanfang?“
„Wie soll der denn aussehen?“ Ich blickte ihn ernst an.
Schweigen. „Ich kann auf einem Schiff anheuern, in einem Lager
arbeiten, eventuell …“
„… auf den Strich gehen? Deinen Körper verkaufen?“ Ich tippte mir an
die Stirn. „Dann wärst du wirklich bekloppt, einfach so dein Leben
wegzuwerfen!“
Schweigen. „Was soll ich sonst machen? Ich kann doch nichts! Habe
nichts gelernt, bin ein Versager!“
Es waren noch 2.000 Meter bis zur Raststätte „Schönberger Land“, ich
setzte den Blinker, ich brauchte eine Pause, ich brauchte frische Luft, ich
brauchte eine Zigarette. „Du kannst alles machen, dir steht die Welt offen mit
18! Aber Strich? Das geht gar nicht!“
„Wieso fahren wir raus? Soll ich aussteigen, weil ich schwul bin?“ Er
blickte mich an.
Ich schüttelte den Kopf. „Wir fahren heraus, weil ich erstens Bock auf
einen Kaffee habe, zweitens dringend eine Zigarette brauche und drittens, mir
platzt gleich die Blase! Noch Fragen?“
Er schüttelte den Kopf und versank wieder in Schweigen. Ich parkte
meinen Wagen direkt vor dem Rasthaus, bedeutete ihm, er möge aussteigen. In der
Erholungsstätte für gestresste Fahrer am Rande der Autobahn angekommen, lenkte
ich meine Schritte erst einmal in Richtung Erleichterungsanlage. David folgte
mir. Ich stellte mich an ein Becken, holte meine Kronjuwelen raus und ließ es
laufen. Er tat es mir nach. Ja, ich gebe es zu, ich warf einen Blick auf seine
Plätschergeräusche und war erstaunt, was ich das sah: Schlaff knapp eine
Handbreit.
Wir tranken kurz eine Tasse Kaffee und verließen dann das Gebäude, ich
mag keine Nichtraucher-Restaurants. Der Nieselregen hatte zwar aufgehört, aber
richtig klar war es nicht. Er nahm die von mir angebotene Zigarette dankend an.
Wir rauchten schweigend. Es war mir egal, wie viele Leute um uns herum standen,
ich nahm ihn einfach in den Arm. David wich erst zurück, ließ dann aber Nähe zu.
Er sagte zwar nichts, aber etwas lag in seinem Blick.
„Dann lass uns mal weiterfahren!“ Ich trat meine Zigarette aus.
Er folgte mir. „Alles klar.“
Bis ich auf die A1 bog, erfuhr ich so Einiges. Er war das Ergebnis
einer langen Partynacht, seine Mutter hatte seinen Produzenten zuvor noch nie
gesehen und nach dem Akt auch nicht mehr, der Vater war somit unbekannt. Einzig
sein Vorname bliebt ihr im Gedächtnis haften: Massimo, der schöne Sizilianer
aus Palermo. Aufgewachsen war er zuerst bei den Großeltern, bis sein Opa starb
und seine Oma, nach einem Schlaganfall, ins Pflegeheim kam. Die Mutter hatte,
bis Ronny in ihr Leben trat, häufig wechselnde Bekanntschaften; alle drei
Monate einen neuen Vater.
Dieser Ronny schien jedoch die einzige Konstante in ihrem Leben zu
sein. Sie lebten zwei Jahre in Essen zusammen und seine Schwester kam zur Welt.
Dann atmete der gelernte Schiffbauer, seine Mutter war gerade mit seinem Bruder
schwanger, für fünf Jahre gesiebte Luft. Direkt nach seiner Haftentlassung
schob er ihr erneut einen Braten in die Röhre. Drei Tage nach seinem 14.
Geburtstag wurde das Nesthäkchen Kevin geboren und die Familie machte sich in
die Heimat des Vaters auf.
Alles in allem keine schöne Kindheit. Geschlagen hatte der neue Mann
seine Mutter und ihn zwar nie, aber es bedarf keiner physischen Gewalt, um ein
Kind psychisch fertigzumachen. Ronny zog seine eigenen Kinder ihm vor, er war
ja nur das Ergebnis eines ONS seiner Mutter mit einem feurigen Italiener. Er
bekam dieses von seinem Stiefvater und auch seiner Mutter, die ihm vorwarf, ihr
Leben verpfuscht zu haben, tagtäglich auf das Butterbrot geschmiert.
„Versteh mich bitte jetzt nicht
Weitere Kostenlose Bücher