Unsortiertes
Ausstellung. Enrico war ein Naturtalent vor der Linse, als ob
er nie etwas anderes in seinem Leben gemacht hätte.“
Das Wasser war warm. „Er wäre wahrscheinlich noch länger geblieben,
aber es kam zu dem einzigen Streit, den wir in der ganzen Zeit hatten. Ich habe
ihn in flagranti erwischt, wie er …“
„… sie bestohlen hat?!“ War das eine Frage der Verteidigerin oder ein
Vorurteil?
Ich schaute die Dame entgeistert an. „Nein, Enrico war zwar
Prostituierter, aber nicht jeder Stricher ist auch gleichzeitig ein Dieb. Wenn
er in den Supermarkt ging und für mich einkaufte, lagen Bon und Wechselgeld
später auf dem Küchentresen, selbst wenn es nur 23 Cent waren. Er ging nie an
mein Portemonnaie, selbst wenn es offen auf dem Tisch lag.“ Ich wandte mich
wieder dem Richtertisch zu. „Ich habe ihn mit einer Frau erwischt, in meinem
Bett! Ich habe zwar nichts gegen Frauen, aber das war mir dann doch zu viel!
Das Mädchen, das er bei sich hatte und mit dem er – na, sie wissen schon – sah
auch nicht gerade vertrauenserweckend aus. Ich vermute, er hat sie auf dem
Drogenstrich aufgegabelt und sie hat ihn wohl an eine Nennschwester aus dem
Heim erinnert.“
„Hatten sie nicht gerade gesagt, sie hätten Zweifel an seiner
Lebensgeschichte gehabt?“ Die Brille mit dem Goldrand war wieder auf der Nase.
Ich nickte. „Stimmt, aber eine Bedingung für den langen Aufenthalt war
absolute Offenheit und Ehrlichkeit, von daher … Außerdem blieb er seit diesem
Zeitpunkt bei einer Geschichte und die war in sich auch rund. Sein Vater starb
bei einem Unfall, als seine Mutter mit seinem Bruder schwanger war. Sie kam
wohl mit dem Verlust nicht zurecht und sprach dann dem Alkohol zu. Das
Jugendamt nahm ihr später die Kinder weg, sie kamen in getrennte
Pflegefamilien, für Enrico voll ein Griff ins Klo: Ein Pflegevater missbrauchte
ihn, ein anderer schlug ihn krankenhausreif. Er landete schlussendlich im Heim
und geriet auf die schiefe Bahn. Mit 16 ist er nach Berlin und da auf dem
Strich gelandet. Es gab wohl einige Probleme mit der Polizei und er tauchte
dann in Köln wieder auf, wo ich ihn …“
„Das stimmt aber so nicht!“ Eine Stimme aus dem Hintergrund meldete
sich, ich drehte mich um und erschrak: Da saß eine zweite Ausgabe von Enrico,
nur mit Brille und mittellangem Haar. „Unsere Mutter starb an Lungenkrebs und
der Alte war der Säufer, der das Weite suchte.“
„Herr Jublinski!“ Der Chefrichter schien ungehalten. „Bitte keine
Zwischenrufe! Wir sind hier weder bei Barbara Salesch noch bei einer dieser
anderen unsäglichen Gerichtsshows. Wenn sie etwas zu einer Aussage eines
anderen Zeugen beizutragen haben, dann können sie das mit Handzeichen andeuten,
ich werde sie dann schon fragen.“
„Ist ja gut! Ich wollte es ja nur gesagt haben.“ Hörte ich da ein
Schmollen in seiner Stimme?
„Dann bist du wohl Justin?“ Ich lachte den Knaben an. „Viel hat dein
Bruder zwar nicht über dich erzählt, aber ihr habt eine ungeheure Ähnlichkeit,
richtig erschreckend!“
„Herr Kleeve, das Gleiche gilt auch für sie: Bitte keine Zwiegespräche
mit der Zeugenbank!“ Der Oberrichter grummelte immer noch. „Wenn sie dann bitte
weiter berichten wollten?“
Ich drehte mich wieder um und lächelte verhalten. „Aber gerne doch. Wo
war ich?“
„Vor dem Exkurs in die Lebensgeschichte? Bei dem drogensüchtigen
Mädchen und dem Streit, den sie mit dem späteren Opfer hatten.“ Die Brille mit
Goldrand wurde mal wieder in der Hand gehalten.
„Nach dem Streit wegen Nadine, so hieß das Mädchen, war erst einmal
Funkstille, er war angepisst, ich war es auch. Aber nach anderthalb Wochen
haben wir uns ausgesprochen.“ Ich massierte mein Kinn. „Er schien wirklich
vernarrt in sie zu sein, denn er kümmerte sich rührend um die Kleine, besonders
als sie schwanger wurde; sie war so etwas wie eine kleine Prinzessin für ihn!“
„Dann war das Opfer also gar nicht schwul?“ Dreitagebart hatte
Fragezeichen in den Augen.
Ich zuckte mit den Schultern. „Die meisten Lustdiener aus Südeuropa
sind heterosexuell und schicken das mit Sex verdiente Geld in die Heimat,
unterstützen damit Frau und Kind, aber Enrico? Enrico war dann doch eher homo-
als bisexuell, denn, bis auf das eine Mal, wo ich ihn erwischt habe, ist mit
Nadine nicht viel gelaufen, jedenfalls habe ich diesbezüglich nichts bemerkt.
Die Zwei benahmen sich aber auch eher wie Bruder und
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