Unsterblich 04 - Unsterblich wie der Morgen
lebe schließlich auch hier.«
Sie senkte theatralisch die Stimme. Mit ihren blutrot geschminkten Lippen fuhr sie fort: »Da wären zunächst mal die Türen. Sie gehen immer wieder von selbst auf und zu%«
»Aha«, wiederholte Lea. Das Öffnen und Schließen von Türen war eine Beschäftigung, der nur Film-Geister nachgingen. Echte Geister hatten gar keinen Grund, eine Türe zu öffnen - sie konnten ja durchschweben. Außerdem erforderte es eine ganze Menge Übung und Konzentration für einen Geist, einen Gegenstand zu bewegen. Im Allgemeinen versuchten Geister zu den Lebenden Kontakt aufzunehmen, indem sie sie berührten. Nur sehr wenige Geister konnten Gegenstände bewegen oder ihre Berührung - außer durch Kälte - tatsächlich fühlbar machen.
»Sonst noch etwas?«
»Mja, schon«, sagte Grace gedehnt und wickelte sich eine dicke blonde Locke, die ihr über die Brust fiel, um den Finger. »Ich habe einmal in der Nacht ein Brausen gehört, wie von einem starken Wind, aber als ich nachschauen ging, waren alle Fenster geschlossen.«
Lea runzelte die Stirn. Irgendetwas stimmte da nicht. Es war Graces Tonfall. Sie log; Lea war sich ganz sicher.
»Möchten Sie dem noch etwas hinzufügen?«, fragte sie Victoria.
»Nein.« Mrs. Bilen schüttelte verlegen den Kopf.
Aha, nun wurde die Sache schon klarer. Victoria glaubte nicht, dass es hier spukte; ihre Schwester war es, die auf dieser Einladung bestanden hatte. Aber warum log sie? War sie auf einen Nervenkitzel aus? Wollte sie ihren Freundinnen erzählen können, sie habe an einer echten Geisterbeschwörung teilgenommen? Und wo zum Teufel steckte Liam?
»Wollen Sie den ganzen Abend hier rumsitzen und Fragen stellen, oder fangen Sie jetzt endlich an, mit den Geistern zu reden?«, fragte Grace, während sie ihre rotlackierten Fingernägel studierte.
Lea, in der es allmählich zu brodeln begann, wollte gerade aufstehen und verkünden, dass es für sie hier nichts zu tun gab, als plötzlich jemand hinter ihr sprach.
»Verzeihung, ich habe mich verspätet.« Die Stimme des Mannes, der nun das Speisezimmer betreten hatte, ließ Lea erstarren.
Adam setzte sich neben Grace, die ihn mit klimpernden Wimpern begrüßte, wie schon zuvor, als sie einander vorgestellt worden waren. Unglücklicherweise hatte er nicht das geringste Interesse an der blonden Schönheit. Oder glücklicherweise. Cem wäre sicher nicht begeistert gewesen, wenn er etwas mit seiner Schwägerin angefangen hätte.
Madame Foulard dagegen war etwas ganz anderes; diese Dame war höchst interessant. Zunächst mal war da diese scheußliche schwarze Perücke, die auch noch ein klein wenig schief auf ihrem Kopf saß. Und dann diese graue Schminke ... wieso gab sie sich solche Mühe, wie eine alte Schachtel auszusehen und wie eine Mülltonne zu riechen?
Aber etwas gab es, das sie nicht unter ihren weiten Fetzen und der gräulichen Schminke verstecken konnte: ihre herrlichen, hellgrünen Augen - das hellste Grün, das er je gesehen hatte. Trotzdem hatte er das komische Gefühl, sie zu kennen.
Aber eine Frau, die sich so anzog wie sie, hätte er doch bestimmt nicht vergessen, oder? Adam musterte sie schweigend. Was hatte sie vor? Auch ihre Gestik war die einer weit jüngeren Frau, ihre Hände waren zu glatt, und auch die Falten in ihrem Gesicht wirkten unecht, wie aufgemalt ... er hätte ihr gerne noch einmal in die Augen gesehen, vielleicht wäre ihm dann eingefallen, wo er ihr schon einmal begegnet war, aber sie mied seinen Blick. Seltsam.
»Madame Foulard, dies ist Adam, ein guter Freund meines Mannes«, erklärte Victoria.
»Freut mich, Madame Foulard«, bemerkte Adam lächelnd. Sie nickte, sagte aber nichts.
»Also, was ist jetzt mit den Geistern?«, fragte Grace ungeduldig.
Adam lehnte sich zurück und beobachtete die anderen. Victoria wirkte verlegen, auf Cems Stirn brauten sich dunkle Wolken zusammen, Madame Foulard dagegen schien immun gegen Graces Sticheleien zu sein. Sie hob eine schmale Braue und neigte den Kopf ein wenig zur Seite, als würde ihr jemand etwas ins Ohr flüstern.
Cem hatte ihm von vorneherein eingeschärft, dass es, was Victorias Familie betraf, keine Gedankenleserei geben durfte - aber in Madame Foulards Kopf konnte er doch wohl einen kleinen Blick werfen, oder? Adam atmete ein und konzentrierte sich.
Nichts.
Was zum Teufel?! Er versuchte es noch einmal, mit mehr Kraft, traf jedoch auf einen dicken Wall. So etwas war ihm noch nie passiert! Er versuchte es mit Gewalt - und
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