Unsterbliche Bande
nicht, warum ich es nicht erkannt habe.«
»Du warst abgelenkt«, sagte Isen. »Das ist meine Schuld. Ich habe nicht an die möglichen Folgen gedacht, wenn ich den Rho der Leidolf in einer solchen Situation rufe.«
Lily legte die Stirn in Falten. »Was meinst du damit?«
»Du hättest es nicht wissen können«, sagte Rule. »Ich habe ja selbst erst nicht verstanden, was da vor sich ging.«
»Ich verstehe es immer noch nicht«, sagte Lily scharf.
Isen schüttelte den Kopf. »Rule hatte mit mir darüber gesprochen, wie frustrierend es für ihn sei, der Rho der Leidolf zu sein. Er spüre die Clanmacht, aber nicht den Clan.«
Sie warf Rule einen schnellen Blick zu. »Ja, das hat er erwähnt.« Nicht mit denselben Worten wie Isen, aber er hatte über seine Frustration gesprochen.
Rule war als Nokolai aufgewachsen. Diesem Clan gehörte sein Herz, während die Leidolf seine Feinde gewesen waren, bis ihm die Clanmacht aufgezwungen worden war. Als Rho wollte Rule die Leidolf gut und richtig behandeln, aber er wollte es mehr mit dem Kopf als mit dem Herzen. »Es macht ihm zu schaffen, dass er sich den Leidolf nicht so verbunden fühlte, wie es seiner Meinung nach der Fall hätte sein sollen.«
»Das ist jetzt kein Problem mehr«, sagte Rule trocken.
»Nein, ganz offensichtlich nicht.« Isen machte eine Pause und trank von seinem Kaffee. »Ich hätte daran denken müssen, dass du deinen Herzschlag getrennt von den anderen halten würdest. Du durftest nicht zulassen, dass ein Nokolai einem Leidolf sagt, was er zu tun hat.«
»Stimmt.« Rules Miene war in sich gekehrt. Was er dort fand, gefiel ihm nicht.
Lily sah zwischen den beiden Männern hin und her. »Ich verstehe nicht.«
Isen rieb sich den Bart. »Vielleicht wusstest du nicht, dass ein Rho die Herzfrequenz seines Clans kontrollieren kann. Ich habe die der Nokolai hochgehalten – eine recht riskante Sache, aber ich habe die nötige Erfahrung. Auf diese Weise haben die Nokolai meine Wut am eigenen Leibe gespürt und entsprechende Erwartungen gehabt … sie wussten, dass etwas von ihnen verlangt werden würde. Etwas Drastisches. Unsere Gäste haben diesen konzentrierten Herzschlag sicher bemerkt, wodurch sie sich noch mehr isoliert und gefährdet gefühlt haben.«
»Jetzt kapier ich.« Lily nickte. »Brenda hat nicht geglaubt, dass ihr Gefahr droht – nicht physisch zumindest. Auch ich war nicht davon überzeugt, aber alle Lupi schienen zu denken, dass du ihren Tod anordnen würdest. Es war der Trick mit dem Herzschlag, der sie das glauben gemacht hat.«
Isen nickte und nahm einen Schluck. »Leider war ich ehrlich wütend. Ich habe nicht so klar gedacht, wie ich glaubte. Deshalb ist mir entgangen, dass Rule seinen Herzschlag meiner Kontrolle entzog. Um das tun zu können, musste er ein Leidolf sein.«
»Ähm … ist das ein Problem?«
Isen legte den Kopf schief, um Rule anzusehen. »Wie sehr ist es ein Problem?«
Rule saß weiter vorgebeugt da und sah zu Boden, nicht seinen Vater an. »Ich weiß es nicht. Ich habe es unter Kontrolle, aber … fühle mich nicht wohl dabei.«
Lily hätte die Antworten am liebsten aus ihnen herausgeschüttelt, doch sie sah Rule an, wie elend er sich fühlte. Er ging der Antwort nicht aus dem Weg, etwas verzehrte ihn innerlich, etwas, das Isen nicht benennen wollte. Vielleicht etwas, das Lily nichts anging … nein, das war es nicht. Wenn Rule ein Problem hatte, musste sie darüber Bescheid wissen. Aber vielleicht war sie nicht diejenige, die ihm helfen konnte. »Ist das eine Rho-Angelegenheit?«
Rule drehte den Kopf, um sie anzusehen, richtete sich langsam auf und nahm ihre Hand. »Ich bin nun schon seit Monaten der Rho der Leidolf. Immer wieder habe ich gewechselt, war einmal der Rho der Leidolf, einmal der Lu Nuncio der Nokolai, ohne dass es mir wirklich schwergefallen wäre. Das ist nun nicht mehr der Fall.«
»Du hast sicher bemerkt«, sagte Isen, »dass die Rho nicht sehr oft das Clangut eines anderen Clans betreten. Wenn aus irgendeinem Grund ein Besuch unumgänglich ist, bleiben sie nie lange.«
»Ich dachte, das sei so aus Gründen der Sicherheit. Oder des Status. Oder beidem.«
»Das sicherlich auch. Aber weder der Rho der Vochi noch der der Laban wäre besorgt um seine Sicherheit oder seinen Status, wenn er unser Gast ist, hier auf dem Clangut ihres dominanten Clans. Und trotzdem sind sie nicht hier.« Er hielt inne und sah sie an, wartete darauf, dass sie verstand, worauf er hinauswollte.
Manchmal hatte Isen
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