Unsterbliche Bande
ist.«
»Nein, die Vochi können mit Geld umgehen.« Wie sollte sie es ausdrücken? »Untergeordnete Clans müssen sich jedes Mal, wenn sie einen neuen Rho bekommen, neu verpflichten, stimmt’s? Das tun die Rho der Vochi seit Hunderten von Jahren. Dieselbe Entscheidung, immer wieder. Also scheint es, als würde es ihnen so gefallen, wie es ist. Warum sollten sie es aufs Spiel setzen? Geld haben sie. Sie wissen, was man damit machen kann und was nicht. Die Laban dagegen …« Sie schüttelte den Kopf. »Sie sind erst seit knapp dreihundert Jahren den Nokolai untergeordnet. In deinen Augen ist das vielleicht keine lange Zeit, aber es hat ausgereicht, sie erkennen zu lassen, dass es den Nokolai hilft, Geld zu haben. Sie sind vielleicht nicht gewieft in finanziellen Angelegenheiten, aber sie wissen, was Stärke ist. Sie sind sehr viel motivierter als die Vochi.«
Carl kam aus der Küche. Er trug eine Pyjamahose. Bisher hätte Lily es nicht für möglich gehalten, dass es tatsächlich irgendwelche Lupi gab, die Pyjamahosen besaßen. »Iss«, sagte er, so kurz angebunden wie üblich, und reichte Rule einen Teller mit dick belegten Sandwichs. Er sah Lily an. »Möchtest du auch etwas?«
»Äh … nein. Nein, ich möchte nichts.« Schließlich hatte sie sich nicht zweimal gewandelt. Lupi brauchten Energie nach dem Wandel. Sie hätte daran denken sollen … aber das Gleiche galt für Rule.
Carl ging zurück in die Küche, von der sein Zimmer abging. Isen kam ihm entgegen, in den Händen dicke Keramikbecher. Lily sah ihn stirnrunzelnd an. »Was geschieht jetzt mit dem Rho der Laban?«
»Das steht noch nicht fest.« Er reichte ihr einen Becher mit dem duftenden Kaffee. »Bis ich mit Leo gesprochen habe, treffe ich keine Entscheidung. Eines weiß ich aber jetzt schon: Er wird an Brendas
seco
teilnehmen.«
Das war nur gerecht. Leo sollte mit eigenen Augen sehen, welche Folgen seine Handlungen hatten. »Aber das wird nicht alles sein.«
»Nein.« Isen stellte den zweiten Becher auf den Boden vor Rule, der mit seinen Sandwiches beschäftigt war – nicht, weil er Appetit hatte oder sie ihm schmeckten, sondern als seien sie eine lästige Aufgabe, die er schnell hinter sich bringen wollte. Isen nahm seinen Kaffee mit zu dem Armsessel, der im rechten Winkel zum Sofa stand. »Ich kann natürlich seinen Tod verlangen. Das wäre das Einfachste und wahrscheinlich auch das Beste.«
»Du entscheidest dich nur selten für das Einfache.«
»Ich werde das nicht mit dir diskutieren, Lily.«
Seine Stimme war freundlich, aber unnachgiebig. Sie ließ es darauf beruhen. Nachdenklich nahm sie einen Schluck von ihrem Kaffee. »Kann ich Leo befragen?«
Isens Augenbrauen hoben sich. »Es war klar, dass du das fragen würdest. Ich hätte damit rechnen müssen. In letzter Zeit passieren immer wieder Dinge, die ich hätte vorhersehen müssen.«
Rule stellte den leeren Teller auf den Boden und nahm den Becher in die Hand. »Du hast besser reagiert als ich. Und Lily auch.« Er warf ihr einen Blick von der Seite zu. »Du hast es geahnt, nicht wahr? Deshalb hast du mir versichert, dass ich heute Nacht niemanden würde töten müssen. Du wusstest, was Isen vorhatte.«
»Ich hatte gehofft, es zu wissen, und ja, das war mit ein Grund.« Frauen mussten beschützt werden. So lautete der Lupi-Code. Trotzdem hatte Isen seine Leute – und sogar seinen Sohn – davon überzeugt, dass die Verfehlung schwerwiegend genug und er wütend genug war, um ein Todesurteil zu fällen. Aber vielleicht hatten nur die Lupi dies befürchtet. Brenda jedenfalls hatte allem Anschein nach keine Angst um ihr Leben gehabt. Hank schon. Er hatte gestanden, um sie zu schützen.
Rule beobachtete sie. »Du hast damit gerechnet, jemanden verhaften zu müssen, ja? Mich?«
»Ich dachte mehr an so etwas wie Schutzgewahrsam. Falls Isen entschieden hätte, dass es nötig wäre, sie zu töten, hätte ich sie in Gewahrsam genommen. Aber nur als letztes Mittel. Es wäre allerdings nicht ganz einfach gewesen, das durchzuziehen, ohne Isen so zu reizen, dass er die Rho-Karte ausgespielt hätte.«
»Nicht ganz einfach?« Isen lächelte schwach. »So kann man es auch nennen.«
Rule sah seinen Vater an. »Aber du hast damit gerechnet, dass Lily so etwas tun würde. Deswegen wolltest du, dass sie in unserer Nähe blieb – damit ich wusste, dass du nicht sofort eine Hinrichtung befehlen würdest. Doch ich habe nicht verstanden, was du mir sagen wolltest. Ich war nicht … ich verstehe
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