Unsterbliche Bande
hatte. Rule roch keine Schuld an ihm. Das konnte er auch nicht, denn Hank log zwar, aber Rule war nicht sein Lu Nuncio, und er versuchte, sowohl seine Geliebte als auch seinen Rho zu schützen. Deshalb gab es keinen Grund für ihn, sich schuldig zu fühlen.
Eine Stunde nach Hanks Geständnis war Lily gemeinsam mit Isen und Rule – wieder in Menschengestalt – auf dem Weg zurück zu Isens Haus. Cynna holte Ryder aus der Krippe ab, Cullen war in seine Werkstatt gegangen, um irgendwelche Versuche durchzuführen. Immer noch trieb ihn die Frage um, warum sein Schutzbann nicht aufgeflammt war. Und Hank befand sich mit Fußschellen gefesselt in der Kaserne der Wachen. Eingesperrt hatte man ihn nicht, denn das gab es auf dem Clangut nicht. Für Lupi war so etwas undenkbar. Tanzte man zu weit aus der Reihe, drohte der Tod, aber eingesperrt wurde man nicht.
Brenda Hyatt würde offiziell aus dem Clan der Nokolai ausgeschlossen werden. Die entsprechende Zeremonie war für ein weibliches Clanmitglied eine andere als für einen Lupus, weil bei ihr die Clanmacht keine Rolle spielte, doch der Name war derselbe:
seco
.
Bevor Isen alle entlassen hatte, hatte Lily noch die anderen Zeugen befragt. Es war, wie sie vermutet hatte: Brenda war nicht die Einzige gewesen, die Hank angesprochen hatte. Nur die kooperativste.
Als sie die Versammlungswiese verließen, brachte jemand Isen sein Telefon, mit dem er Leo anrief, den Rho der Laban … der nicht abnahm. Als sie sich Isens Haus näherten, steckte er das Handy weg, ohne eine Nachricht zu hinterlassen.
»Lässt es ihn nicht schuldig aussehen, weil er nicht ans Telefon geht?«, fragte Lily.
»Leo nimmt nie sofort ab.« Isen öffnete die schwere Haustür.
»Muss er denn nicht drangehen, wenn du anrufst?«
»Er muss gehorchen.«
Rule ergänzte die dürftige Antwort. »Es ist so wie ihr, Cynna und du, eben gesagt habt. Die Laban sind uns untergeordnet, aber ihr Rho ist äußerst dominant. Leo ruft Isen zurück – ich nehme an, du hattest deine Nummer angegeben?«, fragte er seinen Vater.
»Selbstverständlich. Ich glaube, ich hätte jetzt gern einen Kaffee. Trinkt ihr einen mit?«
»Gern«, sagte Lily. Warum nicht? So bald würde sie ohnehin keinen Schlaf bekommen. »Dann spielt er also eine Art Dominanzspielchen?«
Isen strebte bereits zur Küche, deswegen war es Rule, der antwortete. »Das ist eher eine Art, Dominanz und Status ins Gleichgewicht zu bringen. Beides gehört zusammen, aber es ist nicht dasselbe. Leos Status ist dem Isens untergeordnet, aber er ist dominant, deswegen möchte er derjenige sein, der anruft, nicht der, der angerufen wird. Isen toleriert das, und normalerweise achtet Leo darauf, diese Toleranz nicht zu überstrapazieren und ruft schnell zurück. Du hast vielleicht bemerkt, dass Isen keine Nachricht hinterlassen hat.«
»Ist das von Bedeutung?«
»Ich könnte Leo eine Nachricht hinterlassen, wenn ich als Lu Nuncio anrufe. Wenn Isen das täte, würde es das falsche Signal sein. Als hätten sie den gleichen Status.«
Dass die Frage des Status unter Lupi hoch kompliziert war, wusste sie bereits. »Aber du glaubst, dass er zurückruft. Obwohl er sich denken kann, dass es um Hank geht. Er muss sich doch fragen, ob er jetzt Ärger bekommt.«
»Leo ist manchmal dumm, aber er ist ein Rho. Sein Clan ist möglicherweise gefährdet. Er wird anrufen.« Rule sank auf das große Sofa gegenüber dem Kamin. Er beugte sich vor und stemmte beide Ellbogen auf die Knie.
Lily setzte sich neben ihn. Sie konnte hören, wie Isen mit Carl sprach – sie hatten einen Disput darüber, wer den Kaffee machen sollte. Isen war zwar der Rho, aber die Küche war Carls Revier. Sie drehte den Kopf zur Seite, um Rule anzusehen.
Er war müde. Müde und erschöpft und sich kaum bewusst, wo er war. Das sah ihm gar nicht ähnlich. Ja, es war nach Mitternacht, aber Rule war wie das Duracell-Häschen. Er brauchte nie viel Schlaf. Also war das, was an ihm nagte, nichts Körperliches … womit reichlich andere Möglichkeiten blieben. Möglicherweise würde es seine Aufgabe sein, das Urteil zu vollstrecken, das Isen über den Rho der Laban sprach.
Aber was sie in seinem Gesicht sah, war keine Furcht vor einer unangenehmen Aufgabe. Es war eher Verwirrung.
Irgendetwas musste ihr entgangen sein.
»Du hattest die Laban von Anfang an im Verdacht, nicht wahr?«, fragte er plötzlich.
»Wenn Geld das Motiv ist, ja. Es passte einfach.«
»Aber die Vochi sind diejenigen, denen Geld wichtig
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