Unsterbliche Bande
Natürlich war es viel wert, aber es gab noch viel wertvollere Gegenstände, die er hätte mitgehen lassen können.«
»Nein, gab es nicht«, sagte Cullen.
»Was weißt du denn darüber?«
»Der Kelch war ein Artefakt.«
»Ein Artefakt?«, sagte Rule verblüfft. Artefakte waren äußerst mächtige magische Objekte – so mächtig, dass niemand auf der Erde wusste, wie man sie herstellte. Dazu brauchte es einen Meister, und das Wissen darum war schon seit der Säuberung verloren. »Was hat es bewirkt?«
»Das weiß niemand. Zumindest habe ich nie davon gehört, dass es jemand herausgefunden hätte, und ich habe es auch nicht geschafft, das steht fest. Ich habe tagelang an dem verdammten Ding herumgetüftelt, konnte aber nur den Auslöser entdecken – und der war verschlossen.«
»Verschlossen«, wiederholte Lily.
»Verschlossen wie mit einem Schlüssel, der zu jemandem passt, der wahrscheinlich schon seit Hunderten von Jahren tot ist, deshalb konnte es niemand benutzen. Den Schlüssel zu ändern erfordert Wissen, über das wir nicht verfügen.«
»Und du hast es mehrere Tage lang untersucht?«
»Ungefähr drei Monate, bevor es gestohlen wurde. Und –«, sagte Cullen mit vorauseilender Abwehr, »ich hatte nichts damit zu tun. Nicht, weil ich irgendwelche moralischen Einwände gehabt hätte, aber ich hätte mir Umbra nicht leisten können.«
»Umbra.«
»So nennt sich der Dieb. Oder nannte er sich. Ganz schön anmaßend, was?«
»Keine Ahnung«, sagte sie trocken. »Was bedeutet es?«
»Es ist der wissenschaftliche Name für einen Teil eines Schattens. Jedenfalls hat jeder geglaubt, dass Umbra den Kelch gestohlen hat, weil die Sache so professionell und glatt lief und es ein hoch dotierter Job war. Es wurde viel spekuliert, wer sein Kunde gewesen sein könnte, aber das war alles Blödsinn. Eigentlich wusste niemand etwas.«
»Wer ist ›jeder‹?«
Cullen wedelte vage mit der Hand. »Leute. Du weißt schon.«
»Nein, weiß ich nicht. Aber ich würde gern.«
»Mehr werde ich dir nicht sagen. Erstens war das vor sieben Jahren, und ich erinnere mich nicht mehr genau, mit wem ich geredet habe. Zweitens, wenn einer von ihnen auch nur den Verdacht hat, dass ich ihn gegenüber jemand Offiziellem erwähnt habe, reden sie nie wieder mit mir. Und das wäre übel.«
»Sind es andere Zauberer?«
»Hast du nicht gehört, dass ich gesagt habe, ich würde dir nicht sagen, wer sie sind? Ich könnte schwören, dass ich mich das habe sagen hören.« Cullen seufzte. »Jetzt fühle ich mich ein bisschen besser, weil ich weiß, dass es Umbra war, der meine Banne durchbrochen hat. Nicht viel, aber ein bisschen. Man sagte, er sei der Beste gewesen.«
Rules Augenbrauen hoben sich. »Gewesen?«
»Vor zwei oder drei Jahren ging das Gerücht, er würde keine Jobs mehr annehmen. Warum, darüber gingen die Meinungen auseinander. Einige meinten, er sei im Ruhestand. Andere, er sei gestorben. Sieht so aus, als hätte er sich nur eine Art Auszeit gegönnt.«
Lily machte sich eine Notiz. »Hm. Dann werden wir wohl Gelegenheit bekommen, ihn selbst zu fragen. Wie ist man mit Umbra in Kontakt getreten, um ihn anzuheuern?«
Cullen dachte einen Moment über die Frage nach. »Das darf ich dir wohl sagen. Hier in den Staaten hatte er einen Agenten, einen großen, fetten Typ namens Hugo. Ich habe ihn einmal wegen einer ganz anderen Sache kennengelernt. Damals – vor ungefähr fünf Jahren – hing er in einer Spelunke namens Rats in San Francisco rum. Er hat eine Gabe – welche, weiß ich nicht mehr. Vielleicht eine dieser Luftgaben. Weiß, ungefähr fünfzig, kahl, oder er hatte sich den Kopf rasiert. Auf die Stirn hat er einen Blitz tätowiert. Sieht aus, als hätte er sich das im Gefängnis machen lassen.«
»Nachname?«
»Keine Ahnung. Er nannte sich Hugo.«
»Wie groß war er?«
»Ungefähr so groß wie Rule und vielleicht hundertfünfzig Kilo schwer.«
»Okay, ich werde mal sehen, ob Arjenie etwas damit anfangen kann.« Sie wandte sich an Rule. »Ich muss Cullen noch einige Fragen stellen, bevor wir am Flughafen ankommen. Willst du jetzt die Akte lesen?«
Nein. »Ja.«
Sie bückte sich und zog einen Ordner aus der Tasche, in der ihr Laptop war. Einfacher wäre es gewesen, die Infos an sein iPad zu schicken, aber das hinterließ eine elektronische Spur. Streng genommen hatte Lily die Befugnis, diese Informationen mit einem Berater zu teilen, und streng genommen konnte man Rule einen Berater nennen. Aber die Möglichkeit,
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