Unsterbliche Küsse
properer, grauer Schwesterntracht zwinkerte und rieb sich erstaunt die Augen.
»Ich bräuchte Hilfe«, sagte Dixie.
Sie riss die Augen weit auf, wurde aschfahl im Gesicht und fiel mit einem Seufzer zu Boden. Das ging Dixie gerade noch ab. Schwestern, die vor ihr in Ohnmacht fielen. Sie war doch die Patientin. Sie verzichtete darauf, zu klingeln, und schrie stattdessen so laut sie konnte. Das zeigte Wirkung.
Sofort standen zwei Schwestern in der Tür. »Betsy!«, hauchten sie. Sie hoben den Blick von ihrer zusammengekrümmt auf dem Boden liegenden Kollegin und starrten Dixie an. Die beiden fielen zwar nicht gleich in Ohnmacht, aber die Art und Weise, wie sie sich am Türrahmen festhielten, deutete doch auf eher wackelige Knie hin.
»Ich glaube, der jungen Frau geht es nicht gut«, sagte Dixie mit bemüht gefasster Stimme. »Und selbst bin ich auch nicht ganz auf der Höhe.«
Sie sahen einander fassungslos an, wie zwei erschreckte Zimmermädchen, die soeben eine Leiche gefunden hatten – was in gewisser Weise ja auch zutraf. »Ich r-r-rufe die Oberschwester«, stotterte die eine und rannte blitzschnell davon.
Die Oberschwester trug ein adrettes blaues Kittelkleid, darauf die steifste Schürze, die Dixie je gesehen hatte; ihre herrische Art konnte so gar nicht darüber hinwegtäuschen, wie schockiert sie über eine Wiederauferstehung ausgerechnet auf ihrer Station war. Aber sie besaß nach wie vor genügend Autorität, ihren Untergebenen Beine zu machen. Sogar Betsy kam mit etwas Hilfe wieder auf die Beine, auch wenn sie den Eindruck machte, eine Wiederholungsvorstellung sei jederzeit möglich.
»Tut mir leid, wenn ich Unannehmlichkeiten mache, aber ich wüsste gerne, wo ich bin. Ich weiß nur noch, dass ich von der Klippe gestürzt und dann hier aufgewacht bin, mit Schmerzen am ganzen Körper und einem Leintuch über dem Kopf. Was geht hier vor? Ich würde gerne duschen, außerdem muss ich dringend Pipi machen.« Justin hatte recht gehabt. Sämtliche Körperfunktionen waren erhalten.
Die Oberschwester zeigte sich der Lage voll gewachsen. »Holen Sie eine Bettpfanne, Anna«, sagte sie, worauf die links stehende Schwester lostrippelte. »Licht an, Mary.« Von einem Moment auf den anderen war der Raum in grelles Licht getaucht. Ein Thermometer im Mund und kühle geschäftige Finger an ihrem Handgelenk erinnerten Dixie daran, dass sie vorübergehend schwer verletzt und mutterseelenallein in einem ausländischen Krankenhaus lag. Ein funktionierender Pulsschlag genügte der Oberschwester offenbar nicht als Beweis dafür, dass die Ärzte sie zu Unrecht für tot erklärt hatten. »Sie stehen unter Schock. Bleiben Sie ruhig liegen, bis wir einen Arzt hierhaben.«
»Ich glaube, ich halte mich wackerer als sie.« Dixie sah zu Betsy hinüber, die schief und zitternd in einem Metallstuhl hing. »Ich muss mir dringend die Haare waschen.« Ihre Haare waren durch und durch blutverkrustet, und wenn sie mit den Fingern durchfuhr, hingen Erde und Unkraut daran.
»Wir müssen erst abwarten, was der Doktor sagt, aber wir tun unser Möglichstes.«
Das »Möglichste« umfasste eine Sitzung auf der Bettpfanne, eine schnelle Waschung und ein Baumwollhemd.
Betsy erholte sich etwas, sodass sie Dixie wenigstens einen Kamm und eine Bürste reichen konnte. »Sie haben mir vielleicht einen Schrecken eingejagt«, sagte sie. »Sie sollten doch tot sein.«
»Das war ich auch«, erwiderte Dixie. »Bin nur wieder zurückgekehrt ins Leben.«
»Das ist gar nicht lustig«, sagte Betsy. »Ihretwegen dreht die Oberschwester fast durch. Sie ist sowieso schon schlecht drauf, weil sie an Amerikanerinnen auf ihrer Station nicht gewöhnt ist.« Worauf Betsy sich entfernte, um Bettsocken zu holen.
»Nehmen Sie es ihr nicht übel. Sie meint es nicht so«, sagte Anna, während Betsys Schritte auf dem Flur verhallten. »Sie ist erst seit zwei Wochen hier und hat einen Heidenrespekt vor der Oberschwester. Und sie hat sich zu Tode erschreckt Ihretwegen.«
Dann kreuzten drei Ärzte auf und kamen zu dem Schluss, nachdem sie sie ausgiebig abgeklopft und abgehört und das Patientenblatt wieder und wieder kritisch studiert hatten, dass sie noch am Leben war.
Als sie aus der Intensivstation kam, wurde gerade das Frühstück ausgefahren. Es roch nach gebratenem Speck und überall klapperten riesige metallene Teekannen. Dixie sah sich fast wie eine Berühmtheit behandelt, war aber zu müde, um sich großartig was daraus zu machen. Sie döste einfach, bis
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