Unsterbliche Küsse
vorgeht?«
»Darf ich?«, bot sich Justin an.
Dixie warf ihm ihren strengen Bibliothekarinnen-Blick zu. »Ich bitte darum.«
»Du bist von den Klippen gefallen – oder wurdest gestoßen, besser gesagt. Man hat dich geborgen und per Hubschrauber hierher gebracht. Wir sind gefolgt.« Er unterbrach, vielleicht um ihr Zeit zu geben, sich auf die neue Situation einstellen zu können. »Du bist vor rund einer halben Stunde gestorben.«
Christopher beobachtete ihren verdutzten Gesichtsausdruck und erinnerte sich, als wäre es gestern gewesen, mit welchen Gefühlen er damals in der Kammer hinter Eleanor Bulls Küche erwacht war. Hinzu kam, dass er soeben eine überzeugte Vegetarierin in eine Blutsaugerin verwandelt hatte. Würde sie ihn dafür hassen?
Sie sah sie alle drei bestimmt und ruhig an. »Lasst mich eines klarstellen …«
Da rüttelte wer an der Tür. Zu viert schauten sie gespannt in dieselbe Richtung. Sie hielt. »Muss abgesperrt sein«, sagte eine Stimme. »Hat die Oberschwester einen Schlüssel?«
»Es ist das Zimmer, in dem die junge Amerikanerin gestorben ist. Vielleicht wurde die Tür ja von der Polizei versiegelt. Wir kümmern uns darum.« In der Stille der Nacht waren die Worte deutlich zu vernehmen; dann klickten geschäftige Schritte den Flur entlang und verhallten.
»Wenn ich tot bin«, fragte Dixie in die Runde, »wie kann es …« Sie machte große Augen, als sie ihre eigene Frage beantwortete. »Ich will wissen, was passiert ist. Bitte sagt es mir.« Sie schrie beinahe vor Panik.
»Dixie«, sagte Justin mit jener sanften und klaren Stimme, die schon die Druiden und die Legionäre beruhigt hatte, »ich will nicht, dass du einen Schock bekommst. Du bist vor ungefähr einer halben Stunde an deinen Sturzverletzungen gestorben. Kit hat dich wiederbelebt. Wir haben ihm dabei geholfen.«
Ihre Schultern verkrampften sich unter dem rauen Klinikleintuch. Sie biss die Zähne zusammen, die Augen weit geöffnet, und ließ ihre Blicke durch den Raum schweifen, wobei sie bei Christopher länger verweilte als bei den anderen. Dann wandte sie sich, die Augenbrauen hochgezogen wie Krickettore, wieder an Justin. »Ich nehme an, unter ›Wiederbelebung‹ versteht ihr keine Herz-Lungen-Reanimation.« Justin nickte. »Das heißt, ich gehöre jetzt – zu euch.«
Christopher erinnerte sich daran, wie schockiert er nach dem Aufwachen gewesen war. Die Vorstellung, tot und doch nicht tot zu sein, war schwer fassbar. »Du bist jetzt eine Jungvampirin, ein sogenannter Frischling«, sagte er, »und stehst unter unserem Schutz.«
Sie drehte sich zur Seite, die grünen Augen verschleiert bis auf einen letzten Rest des früheren Funkelns. »Politisch korrekt ist man in euren Kreisen also noch nicht.« Sie sackte auf das Bett zurück. »Vielleicht sollte ich doch in einen Schock fallen.« Christopher schaute sie nicht einmal von der Seite an. Ihre ganze Aufmerksamkeit galt Justin.
»Unsere Gebräuche sind sehr alt. Mit der Zeit wirst du verstehen, wie alt. Christopher hat den ersten Schritt für dich getan. Du selbst entscheidest, wie es nun weitergeht, aber zuerst müssen wir dich hier rausholen.«
»Und was muss ich dabei tun? Mich verwandeln und zusammen mit euch im weiten Himmelsblau entschwinden?«
Justin schüttelte den Kopf. »Das wirst du noch lernen. Viel später. Zunächst müssen wir …«
Wieder rüttelte jemand an der Tür. Sie gab beinahe nach. »Wer sperrt hier einfach ab?«, vernahmen sie eine barsche Stimme. »Fragen Sie mal Bradbury. Vielleicht war er es. Wir müssen auf alle Fälle rein. Höchste Zeit, sie in den Leichenkeller zu schaffen.«
»Könnte euch so passen«, sagte Dixie frech in Richtung der versiegelten Tür. Dann wandte sie sich wieder an Justin. »Wie soll ich hier rauskommen, wenn ich nicht fliegen kann?«
»Mit uns, aber zu dem Zweck müssen wir erst durch den Vordereingang hereinkommen.«
»Das ist wohl deine Art zu scherzen, oder? Ich muss erst in den Leichenkeller gekarrt werden und mir dort den Hintern abfrieren, bis ihr am Vordereingang anklopft?«
Christopher legte den Arm um ihre Schultern. Sie ließ es geschehen. Gut. »Hör zu, was Justin sagt. Er hat alles genau geplant.«
»Gut zu wissen.« Sie war zu erschöpft und gab nach, lehnte sich gegen seine Schulter und sah Justin an. »Dann schieß los«, sagte sie.
»Du hast die Aufgabe, die Ärzte davon zu überzeugen, dass du am Leben bist. So wie ich dich kenne, wird dir das sicher Spaß machen. Sie müssen deine
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