Unsterbliche Küsse
Erzählen Sie ihm irgendwas.«
»Aber was?«
»Sagen Sie ihm …« Womit könnte man ihn todsicher aus der Reserve locken? »Sagen Sie ihm, Sie glaubten Christopher Marlowe heute Abend im Dorf gesehen zu haben.«
»Tsss.« Sie zischte abschätzig. »Das funktioniert nicht. Die Polizei ist zwar noch immer hinter ihm her, aber Sebastian weiß, dass er tot ist.«
»Ach wirklich?«
Emily sah auf ihre Hände. Ihr Zeigefinger spielte an einem Knopfloch herum. »Sie als moderne aufgeklärte Amerikanerin werden das vielleicht nicht glauben, aber Christopher war ein Ungeheuer, ein Vampir. Wir haben ihn zum Wohl des ganzen Dorfes vernichtet.«
Wenn sie Emily jetzt dafür erdrosselte, würde sie nie an Sebastian herankommen – außerdem war das längst kalter Kaffee.
»Sagen Sie ihm, Sie hätten mich gesehen. Nein, das könnte ihn vielleicht warnen. Sagen Sie, die Polizei hätte von Ihnen wissen wollen, wo er sich letzte Woche überall rumgetrieben hat.« Das würde ihm doch hübsch zu denken geben.
»Das wäre eine Möglichkeit, aber wenn, dann erst morgen. Jetzt wäre er über einen Anruf nicht sehr glücklich.«
Sollte er ruhig erst mal unglücklich sein. Später würde es ihm noch viel dreckiger gehen. »Vergessen Sie Valerie nicht, wie sie auf seinem Schreibtisch lag.«
»Es war ihr Schreibtisch«, zischte Emily und griff zum Hörer.
Emily verschwendete in der Bank ihr Talent. Sie hätte lieber Schauspielerin werden sollen. Sie klang durcheinander und erregt, aber Letzteres war vielleicht Wut. »Ich muss vorbeikommen … Jetzt … Nein, ich bleibe nicht über Nacht, selbst wenn du mich bitten würdest … Ich will einfach wissen, wie ich mich verhalten soll, wenn die Polizei noch einmal aufkreuzt … Ja, ich weiß, es ist schon nach Mitternacht. Den Kriminalern war das auch egal.« Nun war sie nicht mehr zu bremsen. Sie knallte den Hörer auf und schaute Dixie grinsend an. »War das gut genug?«
Gut genug für einen Oscar – oder einen Sebastian.
»Wir hätten sie nie gehen lassen dürfen. Warum hat sie denn keiner aufgehalten?« Christopher ging mit schweren Schritten auf und ab, sodass sich eine Spur im Teppich abzuzeichnen begann.
Justin unterbrach sein Anstarren der Marmoruhr auf dem Kaminsims. »Französisch, ein wunderschönes Stück. Hör auf, dir Sorgen zu machen, alter Freund. Zum einen wäre sie sowieso nicht aufzuhalten gewesen, und zum anderen ist sie stark genug, sich der Sache zu stellen. Soll sie sich ruhig die ersten Sporen verdienen.«
Dixie konnte auf Sporen verzichten, nur sicher sollte sie sein. »Warum zum Teufel konnte sie nicht einfach in Yorkshire bleiben und abwarten, bis Gras über die Sache gewachsen ist?« Weil das nicht ihrer Art entsprach. Weil diese Frau ihre eigenen Vorstellungen von Gerechtigkeit hatte und ihn dabei vor Sorgen in den Wahnsinn trieb.
»Du kannst sie nur halten, indem du sie ziehen lässt. Diese Frau hat das Temperament eines Rennpferds, Kit. Das kannst du mir glauben.« Er sprach aus Erfahrung. Gwyltha, Annette zurzeit des Englischen Bürgerkriegs, die Gouvernante 1815 in Brüssel, Justin hatte sie alle verloren.
Christopher erschauderte. Wenn er Dixie verlieren wür-
de …
»Sie kommt gerade über den Dorfanger.« Tom stand auf und schaute zum Fenster hinaus. »In wenigen Minuten ist sie da.«
Es dauerte drei, und sie platzte herein, mit von der Nachtluft geröteten Wangen und vor Aufregung funkelnden Augen. »Alles startklar!« Sie hüpfte fast vor Freude. »Wir müssen uns beeilen. Sie glaubt, ich bin mit dem Auto unterwegs. Ich habe ihr gesagt, ich würde noch zehn Minuten warten. Sie macht den Hintereingang für mich auf.«
»Und dann?« Christopher wäre Justin mit dieser Frage gern zuvorgekommen.
»Dann sorge ich dafür, dass er gesteht, und rufe euch drei herein. Im Fall des Falles rufe ich zuerst nach Christopher. Diese Begegnung wäre sicher mehr als heilsam.«
»Eher trifft ihn gleich der Schlag. Denk dran, tote Vögel singen nicht.«
»Keine Angst, er wird es überleben.« Sie hielt inne, als kämen ihr plötzlich Zweifel. »Ihr werdet doch bei mir sein, oder?«
»Für immer, Liebes«, sagte Kit. Ohne anders zu können, küsste er sie mitten auf ihren Wahnsinnsmund.
Ihre Augen weiteten sich zu smaragdgrünen Himmelskörpern, und sie schluckte, als hätte sie einen schweren Kloß im Hals. Dabei sollte sie langsam nervös werden; ihr Geliebter war es ja auch, und wie, und sie wagte sich schließlich mutterseelenallein in die Höhle des
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