Unsterbliche Küsse
Männer!« Sie hätte sich am liebsten auf die Zunge gebissen. So direkt wollte sie das nicht sagen.
Christopher ließ sich davon nicht entmutigen. »Sei unbesorgt! Von mir hast du nichts zu befürchten.«
Sie war sich dessen nicht ganz so sicher angesichts der Wärme in seinem samtbraunen Auge. Vorübergehend galt ihr Interesse wieder überwiegend ihrer Ofenkartoffel. »Zurück zu meinen Tanten«, sagte sie schließlich. »Waren sie nun Hexen oder nicht?«
»Böse Hexen? Nein. Sie waren einfach zwei exzentrische alte Damen, die alten feudalen Zeiten nachtrauerten, in denen sie das ganze Land kontrolliert hätten.«
»Und die ganzen Bücher?«
»Stammen von ihrem Vater. Ein pensionierter Colonel der indischen Armee. Ein Zuchtmeister wie er im Buche steht, hat seine Töchter behandelt wie unbezahlte Diener und seine Diener wie Sklaven. Das ganze Dorf hat nach seiner Pfeife getanzt. Im Krieg war er für die Heimatfront vor Ort zuständig. Eines Tages erschien eine Abordnung zur Erörterung von Abwehrmaßnahmen im Falle einer Invasion, darunter ein junger Hauptmann der US-Armee. Dein Urgroßvater hat alle zum Dinner eingeladen. Der Rest ist, wie man sagt, Geschichte. Sie bleiben hier für ungefähr eine Woche. Sechs Monate später, drei Tage nach ihrem einundzwanzigsten Geburtstag, hat deine Großmutter in London geheiratet. Angeblich hat der Colonel danach keinen ledigen Mann unter sechzig mehr ins Haus gelassen.«
Das deckte sich mit Grannys Version. »Hatten sie denn keine Mutter?«
»Die ist in Indien gestorben.«
»Und woher weißt du das alles? Du warst zu der Zeit noch gar nicht geboren.«
Er zögerte für einen Moment. »Wir sind hier in einem Dorf. Da hält sich Tratsch jahrelang.«
Damit hatte er ihr in fünf Minuten mehr erzählt als Granny in ihrem ganzen Leben. Sie verspürte den Wunsch, nach Hause zu fahren und über alles nachzudenken. Sie trank den letzten Schluck Guinness und stellte das Glas auf den Tisch. Die einzelnen Schaumringe markierten das Glas wie schweifende Gedanken, unklar und verschwommen. Christopher sah sie an. Sie spürte es und beobachtete die Schaumflöckchen, die langsam im Glas nach unten sanken. Ihr stockte der Atem.
»Du bist zu Fuß gekommen.«
Es war keine Frage.
Dieses Mal bot er ihr nicht an, sie nach Hause zu begleiten, was auch nicht extra erforderlich war. Es gab kein Mondlicht, aber Christopher fand den Weg auch so. Als sie über eine Wurzel stolperte, hinderte er sie gerade noch rechtzeitig am Fallen. Danach war es ratsam, gleich seine Hand zu halten und ihm über den Dorfanger zu folgen. Ihre Gedanken schweiften ab hin zu den kühnsten Fantasien. Sie spürte die Wärme ihrer Hand, die sicher und fest in der seinen lag. Wie würde sich seine Hand auf ihrem Nacken anfühlen, auf ihren Schultern, auf dem …? Genug. Sie wollte auf jegliches Techtelmechtel verzichten. Sie war hierhergekommen, um Atem zu holen und ihren Seelenfrieden zu finden. Nicht um ihn zu verlieren.
»Gar keine Besucher heute Abend«, sagte er, als sie auf dem Kiesweg vor dem Haus standen.
»Bei den neuen Schlössern müssten sie zum Äußersten entschlossen sein.«
»Vielleicht sind sie es ja …«, flüsterte er wie zu sich selbst.
Sie ging auf die Tür zu, den Schlüssel in der Hand, und er folgte ihr. Erwartete er etwa, dass sie ihn hereinbitten würde? Er wäre wohl sehr enttäuscht, wenn sie es nicht täte. Dazu war sie aber nicht bereit, jetzt nicht und wohl auch später nicht.
Er umfasste ihre Hand stärker. Ihr Herz verkrampfte sich. »Dixie, achte bitte doppelt darauf, dass auch alle Fenster und Türen wirklich zu sind.»
»Machst du dir etwa Sorgen um mich?«
»Wie sollte ich nicht. Irgendjemand führt nichts Gutes im Schilde.«
»Ist das ein Angebot, hereinzukommen und mich zu beschützen?«
»Nein«, ertönte es wie ein heiserer Schrei.
Ihre Hände verkrampften sich ineinander. Sie wollte nicht, dass er ging. Auf den geringsten Wink hin würde sie ihn hereinbitten. Nein, lieber nicht! Warum nicht? Weil sie nicht dumm war. Benommen vom Guinness und der Nachtluft sah sie ihm ins Auge. »Christopher«, flüsterte sie, »es wird schon nichts passieren.«
»Ich weiß. Niemand wird dich heute Nacht belästigen.« –»Gute Nacht, und danke für die Begleitung.« Sie küsste ihn, nicht auf die Wange, was sie eigentlich wollte, sondern auf die Lippen. Sein warmer, weicher Mund öffnete sich, sie konnte nicht anders, als nachzugeben. Seine Lippen schmeckten nach Wein und
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