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Unsterbliche Küsse

Unsterbliche Küsse

Titel: Unsterbliche Küsse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosemary Laurey
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Herzen, das diesen Schrei um Hilfe instinktiv verstand. Sie hätte alles überrannt, was ihr den Weg versperrt hätte, aber nur Vögel und ein aufgescheuchtes Kaninchen wurden Zeugen ihres irren Wettlaufs über den ungemähten Rasen, durch Eibenhecken und den Obstgarten hindurch bis zu jener Ziegelmauer und dem Tor neben dem Gärtnerhaus. Diesen ummauerten Teil des Gartens hatte sie bisher bewusst gemieden; eines Tages wollte sie ihn von Gärtnern in Ordnung bringen lassen. Nun riss sie das Tor fast gewaltsam auf und stürmte hinein.
    Sie hatte recht gehabt, zwischen diesen hohen Mauern Schlimmes zu vermuten, und es waren nicht nur die phallischen Gartenornamente, die sie nun sah. Sie rechnete mit einem zu Tode gemarterten Tier oder einem düsteren Teufelsritual. Zuerst traf sie der Geruch von verbranntem Fleisch, der ihr in der Kehle würgte und schreckliche Erinnerungen an den Autounfall ihrer Eltern wach rief. Das war schlimmer als in jedem Horrorfilm. Tief in ihrem Inneren schrie etwas auf. Ihre Stimme meldete sich lauter zu Wort als Schmerzen in der Morgendämmerung, mächtige Angstwogen, die aus ihrem Inneren aufstiegen und wie Sandpapier in der Kehle rieben und die Seele wie Säure versehrten.
    Aber sie schrie gar nicht. Der Schrei aus ihrem Mund kam von der weißen Gestalt, die sich vor ihren Augen im Gras wand.
    Sie rannte auf den Gestank zu und stürzte sich auf das Häuflein Elend. Das Wesen beruhigte sich, als sie mit ihrem Körper die Sonnenstrahlen abschirmte. »Christopher«, wimmerte sie, ohne in sein verzerrtes Gesicht zu blicken. Aus seinen geschwollenen Lippen kam ein würgender Schrei. Die Hitze seiner Haut brannte durch den Stoff ihres Morgenmantels hindurch, aber noch während sie keuchend auf dem Bündel brennenden Fleisches lag, fühlte sich sein Körper doch auch kühl an. Sie musste ihn fortschaffen. Aber wie? Die Sonne schien mit der ganzen Kraft eines Sonnenaufgangs im Juni. »Christopher, was soll ich nur tun?«
    Aus seiner Kehle quollen abgerissene, gequälte Laute.
    »Jetzt sag schon was, sag was«, wimmerte sie, aber dem bedeutungslosen Gurgeln aus seiner Brust entnahm sie lediglich, dass er im Sterben lag.
    Es sei denn, sie unternahm etwas.
    Sie griff über seinen auf dem Rücken liegenden Körper, zerrte an den Knoten, mit denen seine Arme festgezurrt waren, aber die verdammten Seile wollten nicht nachgeben. Sie waren an den vier Steinphalli festgebunden. Wenn sie sie aus dem Boden bekäme, könnte sie ihn befreien, aber die waren tief eingegraben oder gar einzementiert. Was nun? Ihre Gedanken rasten schneller als der Schall. Die Sonne verbrannte ihn. Sie musste ihn in den Schatten bringen, aber zuerst musste sie ihn befreien.
    Das Gärtnerhaus!
    Dort musste es Messer geben. Sie raffte sich hoch, aber sobald die Sonne seine Haut berührte, krümmte er sich vor Schmerzen. Dixie zog den Morgenmantel aus und deckte ihn damit zu. Aber der dünne Stoff reichte nicht aus. Da streifte sie auch noch ihre Pyjamajacke ab. Das war zwar noch immer nicht genug, aber mehr konnte sie im Moment nicht tun.
    Sie rannte los, durch das Tor hindurch, ungeachtet der Zweige und Äste, die ihr die Haut zerkratzten. Als sie im Dämmerlicht herumtappte und eine Schubkarre beiseiteschob, schürfte sie sich das Knie auf. Schließlich ertasteten ihre Hände eine Gartenschere. Wenn man damit Rosen zuschneiden konnte, wäre ein Seil doch eine Kleinigkeit.
    Sie musste es regelrecht zerhacken. Seile dieser Stärke sollte man an Bergsteiger verkaufen. Nun hatte sie seine Arme und Beine frei, aber es half doch nichts. Als sie versuchte, ihn aufzurichten, knickten seine Beine ein, sodass sie beide zu Boden stürzten. Seine Fußsohlen waren voller Blasen und wund. Er konnte keinen Schritt laufen, aber irgendwie musste sie ihn aus der Sonne schaffen. Selbst in diesen wenigen Minuten verbrannte seine Haut noch mehr, und er war doch ohnehin schon krebsrot.
    Die Schubkarre!
    Sie ließ ihn liegen, wie er hingefallen war, und nahm sich nur Zeit, um ihn wieder zuzudecken. Dann düste sie zurück und zog die alte Schubkarre ans Tageslicht. Sie sah wirklich sehr alt aus – als hätte sie schon zu Zeiten der Armada dazu gedient, Brennstoff für die Leuchtfeuer zu transportieren. Aber wen kümmerte das? Schließlich fand sie in all dem Staub und Dreck auch noch eine zusammengefaltete Wagenplane. Sie riss das Ding auseinander; es war durchgescheuert und voller Löcher, würde aber Christopher dennoch vor den schlimmsten Folgen der

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