Unsterbliche Küsse
Mutter nicht gesagt, dass man andere Leute nicht anstarrt?«
Sie schluckte, das Blut schoss ihr ins Gesicht, als sie sich ruckartig herumdrehte und ihre Blicke sich trafen. »Da«, sagte sie, »ich hab dir Decken gebracht.« Sie hüllte ihn ein und schlug in ihrer Verlegenheit die überstehenden Teile unter. Dabei wich sie seinen Blicken aus, vor allem jedoch vermied sie jene Stelle unterhalb seiner Hüfte, die wie ein Steilwandzelt in die Höhe ragte.
Er sagte kein Wort. In der Stille hörte sie Schritte auf dem Gartenweg und das Klappern von Milchflaschen. Sie hoffte inständig, dass die Falltüre nicht offen stand.
Christopher versuchte sich auf einen Ellbogen abzustützen, fiel aber wieder auf das Kissen zurück. »Du brauchst nicht verlegen zu sein, Dixie. Ich verdanke dir so viel.«
Diese Sache wollte sie jetzt nicht besprechen. »Wirst du wieder gesund werden?«
»Möglicherweise.« Er hielt erschöpft inne. »Ich muss mich ausruhen. Bis zum Einbruch der Dunkelheit. Dann muss ich Blut saugen.« Das Sprechen schien ihn schwer anzustrengen. »Sie dürfen mich nicht finden, Dixie. Erst muss ich wieder zu Kräften kommen.«
»Hier bist du absolut sicher, aber ich glaube, du bist mir eine Erklärung schuldig. Heute Abend.«
Sein Auge fiel zu. Er sah schrecklich aus. Der Steinboden hatte eine gesündere Farbe.
Sie zitterte, ob vor Kälte oder Anspannung wusste sie nicht. Sie packte ihn vollends in Decken, verdunkelte die schmalen Fenster mit Handtüchern und überließ ihn seinem Schicksal.
Ein heißes Bad brachte keinerlei Entspannung. Ihre Gedanken überschlugen sich. Sie zwickte sich. Nein, sie träumte nicht. Rote, vom Kellerboden aufgescheuerte Knie und ein abgebrochener Zehennagel, ganz zu schweigen von den Kratzern überall auf ihrem Körper, waren der Beweis dafür, dass dies alles, das ihr wie ein Alptraum vorkam, kein Traum war. Sie beherbergte einen sterbenden Vampir in ihrem Haus. War das möglich? War er nicht vielleicht schon tot? Oder untot? Konnte er überhaupt sterben? Er hatte davon gebrabbelt, nach einer Ruhepause wieder zu gesunden. Hoffentlich stimmte das.
Jemand hatte versucht, ihn zu ermorden. Würden sie nach ihm suchen? Was, wenn sie zurückkamen, um über seinen verkohlten Resten zu triumphieren, und nichts fanden?
Sie stieg aus der Wanne, auf die Badematte tropfte Wasser. Es war besser, sämtliche Spuren zu beseitigen, ehe »sie« zurückkamen.
Mit einem Rechen glättete sie die Schubkarrenspuren im Rasen. Sie könnte das Gartentor schließen und hoffen, der Efeu sähe nicht allzu zerzaust aus, aber was machte sie mit den Seilresten, die an diesen scheußlichen Steinerektionen baumelten? Sie erschauderte und grinste angesichts ihrer unbewussten Wortwahl. Bei genauerem Hinsehen stellte sie fest, dass das Gras dort, wo Christophers Schultern und Hüften aufgelegen hatten, brüchig und gelb war. Die Halme zerbröselten in ihren Fingern. Die Hitze seines Körpers hatte sie zu Heu werden lassen. Wäre er vollständig verbrannt, wenn sie ihn nicht gefunden hätte? Wenn sie das doch nur wüsste! Der Vampirmythos jedenfalls erzählte davon.
Sie hatte einen Rechen parat und den Schlauch angeschlossen, falls das Feuer außer Kontrolle geriete. Nun setzte sie alle Hoffnung auf die langen Streichhölzer aus der Küche und das Benzin, das sie für den Rasenmäher gekauft hatte. Sie goss Benzinspuren auf den vier Gliedmaßen aus, einen Spritzer für den Kopf und ein windschiefes Rechteck für den Rumpf. Ein kleines Meisterwerk. Es glich eher einem Strichmännchen von der Hand eines zündelnden Kleinkinds denn den männlichen Körperformen Christophers, würde aber seinen Zweck erfüllen. Hoffte sie zumindest. Nun brauchte sie nur noch ein brennendes Streichholz an die Überreste des Seils zu halten, und schon im nächsten Moment sah sie fasziniert zu, wie alles in Flammen aufging und zu Asche verbrannte.
Bis zum Sonnenuntergang wäre er sicher aufgehoben. Was dann? Und wie würden die Verantwortlichen für den Mordversuch reagieren? Wer auch immer es war.
Sie brauchte ein zweites Bad und ein gutes Shampoo, um allen Schmutz und den Qualmgeruch abzuwaschen. Als sie sich zu einer Tasse Kaffee und dem Chaos in ihrem Kopf hinsetzte, war es fast Mittag. Was, wenn Christopher trotz aller ihrer Anstrengungen sterben würde? Was, wenn nicht? Was sollte sie bloß mit einem Vampir anstellen? Er hatte etwas von »saugen« gebrabbelt. Darüber wollte sie nicht genauer nachdenken. Sie stand für einen
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