Unsterbliche Küsse
Sonne bewahren.
Ihn in den Schubkarren zu kriegen, erwies sich als größeres Problem. Er war schlichtweg zu schwer, aber schließlich kippte sie die Karre, um ihn seitlich hineingleiten zu lassen. Als sie das Ding wieder aufrichtete, plumpste er schräg hinein, Arme und Beine in alle Himmelsrichtungen gestreckt. Die Plane erfüllte ihren Zweck. Gerade so. Nachdem sie die überstehenden Ränder eingeschlagen hatte, damit sie sich nicht im Rad verfingen, legte sie sich mit aller Kraft ins Zeug und rannte, die Karre voraus, quer durch den Obstgarten wie von Furien gehetzt.
Ohne abzusetzen, schaffte sie es bis zum Kellerabgang an der schattigen Seite des Hauses. Als sie die schwere Falltür hochwuchtete, bemerkte sie ihre zerkratzten Arme und ihren nackten Oberkörper, vom Rest ganz zu schweigen. Zum Glück gab es hier hohe Mauern und dichte Hecken. Dennoch musste sie sich mit Christopher beeilen, um nicht noch dem Milchmann eine Gratisvorstellung zu geben. Ihren Bademantel zog sie trotzdem wieder über, aber der war mittlerweile so zerfetzt, dass es sich kaum noch lohnte. Besser sie nutzte die Zeit, um Christopher aus dem Tageslicht zu schaffen.
Ihn über die ausgetretenen Kellerstufen nach unten zu transportieren, schien eine größere Herausforderung, als ihn in die Schubkarre zu laden. Sie konnte ihn schwerlich wie einen Sack Kohle einfach hinunterplumpsen lassen. Also breitete sie die Plane auf dem Boden aus, ließ ihn hinaufgleiten, und zog die Plane über die Treppe nach unten. Sie spürte seinen Schmerz am eigenen Leib, als sein Kopf und die Glieder über die Stufen holperten. Wenn er nur wieder stöhnen oder schreien würde; dann wüsste sie wenigstens, dass er noch am Leben war. Am Leben? Sie biss sich auf die Lippen, um ein hysterisches Lachen zu unterdrücken.
Soeben hatte sie einem Vampir das Leben gerettet, und dabei hatte sie beim Aufstehen an diesem Morgen noch nicht einmal an seine Existenz geglaubt.
7
Der nackte Steinfußboden scheuerte ihr durch den zerschlissenen Bademantel hindurch die Knie auf, doch sie bemerkte es kaum. Mit zitternden Fingern versuchte sie, seinen Puls zu ertasten, bis sie losprustete. Natürlich hatte er, wie sie schon vermutete, keinen Puls, keinen Herzschlag und keinen Atem. Woran konnte sie sich sonst halten? Sie brauchte ein Zeichen, dass er nicht tot war. Aber er war tot. Mausetot. Kühler Schweiß ließ sie erschaudern. Nach einem Wettlauf quer durch den Garten war ein Aufenthalt in einem kalten Kellerloch eigentlich nicht ratsam. Für beide nicht.
Drei Gänge waren erforderlich, um genügend Kissen und Decken in den Keller zu schaffen. Dann versuchte sie, sich an die wenigen Details zu erinnern, die sie aus Draculafilmen über Vampire wusste. Wenn Christopher den Tag über schliefe, würde er sich dann am Abend wieder erholen? Würde er sich in eine Fledermaus verwandeln? Wenn sie doch nur eine Ahnung von diesen Dingen hätte! Leider hatte ihr Erste-Hilfe-Kurs vom Roten Kreuz Vampire ausgespart.
Sie konnte zwar keinen Sarg auftreiben, aber ein ganzer Kokon aus Decken sollte kein Problem sein. Dazu rollte sie ihn, wie schon zuvor, zur Seite und schob einen dicken Stapel Decken unter ihn. Sein Kopf kam auf einem Kissen zur Ruhe. Dann strich sie ihm das dunkle Haar aus der Stirn. Dabei kam der Knoten wilden Fleisches zum Vorschein kam, der einmal ein Auge gewesen war, und sie erschauderte. Welcher Arzt hinterließ heutzutage eine derartige Narbe? Wenn britische Mediziner so arbeiteten, würde sie im Fall des Falles schleunigst das nächste Flugzeug besteigen.
Sein Auge war möglicherweise entstellt, aber sonst fehlte ihm nichts. Seine prallen Arm- und Brustmuskeln unter der sonnenverbrannten Haut waren vollkommen intakt. Ihre Fingerspitzen fuhren durch den wuscheligen Pelz dunkler Haare auf seiner Brust und wanderten dann hinunter zum Bauchnabel. Dort machten sie halt, nicht jedoch ihre Augen. Benahm sich so eine Südstaatenlady? Aber welche Südstaatenlady fand schon vor dem Frühstück einen Vampir in ihrem Garten? Und Christopher war nun wirklich eine Augenweide.
Ein flacher Bauch ging über in kräftige Schenkel und wohlgeformte Beine, und dazwischen lag, in dunkle Behaarung eingebettet, alles, was ein Mann brauchte. Ihre Hand strich über seine Schenkel; der Atem stockte ihr, als sie feststellte, dass sich dort etwas regte. Er mochte ja unbeweglich daliegen wie ein steinerner Kreuzzugsritter in einer Kirche, aber tot war er nicht. Noch nicht.
»Hat dir deine
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