Unsterbliche Küsse
Tom. »Du hast vielleicht keinen Bedarf für eine Toilette, aber würde es dir was ausmachen, mir eine Tasse Tee oder derlei zu machen? Mir wäre es lieber, wenn niemand zusieht.«
Er zögerte, nickte dann und ging. Dixie war nun alleine mit Christopher, in der Hand ein Skalpell, das zu gebrauchen sie nur noch den Mut finden musste.
Sie fasste Christopher am Hinterkopf und beugte sich nach unten, um möglichst nahe an seinen Mund heranzukommen. In der rechten Hand hielt sie das mittlerweile warme Skalpell. So ging es nicht. Sie hätte eine dritte Hand gebraucht, um sich ihres T-Shirts zu entledigen. Also ließ sie seinen Kopf so sanft wie möglich auf das Kissen zurückgleiten, legte das Skalpell auf den Nachttisch und zog sich das T-Shirt über den Kopf. Dann hob sie seinen Kopf wieder an. Das war aber schwerer als gedacht und nur mit beiden Händen zu bewerkstelligen. Was, wenn sie nun zu tief schnitt? Was, wenn sie zu sehr zögerte und er währenddessen erlosch?
Als sie ihn nahe zu sich heranzog, neigte er sich zu ihrer Brust. Hatte er sich etwa bewegt? Sie sah auf das ausgemergelte Gesicht hinunter, das an ihrer Brust lag. Das genügte. Sie öffnete ihren Büstenhalter und glitt unter die Decke, bis sie ausgestreckt neben ihm lag. Auf einen Ellenbogen gestützt, beugte sie sich über ihn, bis ihre Brust seine Lippen berührte. Mit zusammengebissenen Zähnen legte sie das Skalpell an die Haut, machte die Augen zu und schnitt. Sie zuckte vor Schmerz zusammen, aber als sie die Augen wieder öffnete, sah sie lediglich einen Kratzer. Damit Blut floss, musste sie tiefer schneiden. Sie zögerte ein letztes Mal. Was sie tat, war Wahnsinn. Ein Blick auf Christopher jedoch gab den Ausschlag.
Das Skalpell glitt über die Haut. Sie schrie auf vor Schmerz, registrierte aber freudestrahlend den hervorschießenden Blutstrom. Sie drückte Christopher zu sich heran, liebkoste seinen Mund mit ihrer Brust. Doch er lag reglos da wie eine Statue aus Granit. Sie hatte zu lange gezögert.
Plötzlich teilten sich seine Lippen, und es durchfuhr sie eine Welle der Freude, als seine Lippen sich auf ihre Brust legten. Sie vergaß die Schmerzen. Es gab keine Schmerzen mehr, nur Freude. Sie schmiegte sich noch enger an ihn, um die Nähe seines Körpers von Kopf bis Fuß zu spüren. Ihre Arme hielten ihn eng umfasst, als er ihre Kraft einsog, und ihr Geist schwebte, getragen auf einer Wolke aus Licht, immer höher und höher.
Sie seufzte und stöhnte, als sein fordernder Mund sich immer mehr an ihr festsog. Sie schrie auf, als sie die zurückkehrende Kraft in seinem Kiefer spürte, und als er den Arm um sie legte, mischten sich Schmerz und Freude. »Christopher!« Sämtliche Schrecken und Ängste des Tages verflüchtigten sich mit diesem Schrei, als sie spürte, wie er mit allen Fasern seines Körpers darauf reagierte. Ihre Hüften pressten sich an ihn. Sie hatte aufgehört zu atmen und nachzudenken. Sie wollte mit Christopher zusammen sein, heute und für immer und ewig.
Er stöhnte, und sie antwortete mit einem Seufzen. Er biss zu. Sie klammerte sich an ihn, drängte ihn, noch fordernder und ausdauernder zu trinken, sehnte sich nach der süßen Erfüllung, die er gab und selbst empfand. Seine Arme umklammerten sie wie eine Schraubzwinge, was aber nicht unangenehm war, spürte sie doch, wie in dieser Umklammerung ihr Wesen in seinem aufging. So viel Nähe und Hingabe hatte sie in ihrem ganzen Leben noch nie empfunden.
»Dixie.« Er hob den Mund beim Sprechen etwas an und sah zu ihr auf, sein Auge verschwommen vor Leidenschaft. »Was habe ich nur getan?«
»Du hast dir von mir genommen, was du brauchtest.« Sie lächelte, hätte gerne gekichert, aber ihr fehlte die Kraft dazu. »Und mir eine gänzlich neue Erfahrung beschert.« Sie fühlte sich schwummerig und beschwingt zugleich. Um sie herum schien sich alles in Luft aufzulösen.
»Das hättest du nicht tun sollen, Dixie.« Seine Verärgerung drang vage durch ihr verschleiertes Bewusstsein.
»Warum denn nicht? Es hat dich gerettet, oder nicht?«
»Zu welchem Preis, Dixie?«
Sie antwortete nicht; sein Gesicht, das Bett und das Zimmer versanken im Dunkel.
»Bist du von Sinnen? Wie konntest du ihr das erlauben?«, sagte Christopher von der Türschwelle aus.
Tom sah von den Unterlagen auf, die er gerade las, und lehnte sich zurück. »Ich nehme an, du sprichst von der Lady, die dich gestern Abend hierhergebracht und mit ihrem mutigen Einschreiten den Fortbestand deiner Existenz
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