Unsterbliche Küsse
»Missbraucht hab ich mich nun gar nicht gefühlt, eher verlassen, und ich bin nicht bereit, noch länger herumzustreiten. Wenn er Blut braucht, nun, mein Körper ist voll davon.«
»Dixie, weißt du, was du da vorhast?«
»Ich bin seit dem College Blutspenderin.« – »Das ist nicht dasselbe.«
Damit hatte er recht. Ihr schoss ein Gedanke durch den Kopf. »Wenn er an mir saugt, werde ich dann auch zum Vampir?«
Tom schüttelte den Kopf. »Nein. Du spürst den Blutverlust. Mehr nicht. Wenn das Blutsaugen eine Verwandlung zur Folge hätte, wären wir Vampire längst in der Überzahl.«
»Dann kann ich ihm mein Blut ja bedenkenlos geben.«
»Wenn da nicht seine Skrupel wären. Vergiss es, Dixie.«
»Aber machbar ist es. Du zapfst schließlich auch Sterbliche an. Wie machst du das? Durch einen Biss in den Hals?« Sie tat so, als würde sie das Grauen, das sich in ihr wie ein Infekt ausbreitete, locker wegstecken. Sein Blick schien zu fragen, ob sie noch ganz bei Trost war. Gewisse Zweifel daran hatte sie auch. »Ich mach keine Scherze, Tom. Bitte sag mir, was ich tun soll.«
»Wenn es hilft, wird Kit mich verfluchen.«
»Dann geh raus. Ich werde ihm sagen, du hättest mal müssen.«
Sein Mund verzog sich zu einem zögernden Lächeln. »Ich bin ein Wiedergänger, Dixie. Ich brauche keine Toilette.«
»Woher soll ich denn das wissen? Verdammt! Hilf mir. Sieh ihn dir doch an.«
Christophers Gesicht, nun grauer als Staub, war faltig und runzlig wie das eines alten Mannes. Er war uralt. Jahrhundertealt. Dixie unterdrückte ihr Entsetzen, als sie es in Toms Augen widergespiegelt sah.
»Na, dann«, sagte Tom. »Es ist ganz einfach. Er braucht eine Vene oder eine Arterie. Der Hals bietet sich an, aber auch Handgelenk oder Oberschenkel, egal.«
»Aber er kann sich nicht bewegen. Wie soll er da zubeißen? Übernimm du das für ihn!« Sie zog den Ausschnitt ihres T-Shirts runter.
»Nein!« Er wich zurück und hob die Hände, wie um sie abzuwehren. »Wir saugen nie am Biss eines anderen. Das ist tabu.«
Dies war nicht der Zeitpunkt, den Ehrenkodex von Wiedergängern zu diskutieren. »Aber wie denn dann? Die Zeit drängt.« Sie kam selber fast um vor Angst.
»Moment! Es gibt eine Möglichkeit.« Er verschwand blitzartig, tauchte aber ebenso schnell wieder auf. »Da.« Er drückte ihr ein Skalpell in die Hand. »Es ist steril.«
Dixie starrte zu ihm hinauf. »Wo …?«, begann sie.
»Ein alter Freund von mir ist Arzt. Er lässt hier ab und zu was liegen, wenn er mich in der Stadt besucht.« Sie sollte ihn noch etwas anderes fragen, konnte aber keinen Satz mehr formulieren, dafür spiegelte sie sich in dem auf Hochglanz polierten Stück Metall. Es sah lebensbedrohlich aus. »Öffne eine Vene. Sobald er das Blut riecht, erwacht sein Sauginstinkt. Normalerweise können wir diesem Instinkt durch Willenskraft widerstehen, aber in seinem Zustand funktioniert er reflexartig.«
»Bist du dir da sicher?«
»Ich bin mir sicher, dass du tapfer genug bist, es zu tun.«
Unter Umständen büßte sie für diese Sicherheit ihr Leben ein, aber wenn sie noch weiter wartete, setzte sie Christophers Leben aufs Spiel. Die Klinge fühlte sich kälter an als Angst. Sie konnte sich nicht einfach blindlings die Kehle aufschneiden. »Ich brauche dringend einen Spiegel.«
»Nicht in diesem Haus, Dixie.«
Sie zögerte, ehe ihr Blick wieder auf Christopher fiel. Sein dunkles Haar war grau gesprenkelt, die Wangen von Falten zerfurcht. Es war höchste Zeit.
Sie zog die Decke zurück, um näher an ihn heranzukommen, und sah auf die dürren Ärmchen und die eingesunkene Brust hinunter. »Es ist zu spät.«
»Nein, noch nicht ganz. Ich würde es wissen.«
»Und wie?« Gran in ihrem Sarg hatte besser ausgesehen als Christopher in diesem Moment.
»Er hat mich gemacht, erschaffen sozusagen. Deshalb merke ich es, wenn er erlischt.«
»Musst du dann auch sterben?«
Er schüttelte den Kopf. »Das nicht, aber ich spüre es, wenn er geht.«
»Also dann, los.« Sie setzte das Skalpell an ihr Handgelenk, aber unter der Haut erschien gleich ein halbes Dutzend blauer Venen. Was, wenn sie die falsche erwischte? Das Handgelenk kam also nicht in Frage. Sie beugte sich weit zu Christopher hinunter, stützte sich auf der Matratze ab, sodass Christophers Kopf zur Seite rollte, mit der Wange nur ein paar Zentimeter von ihrer Brust entfernt. Das wäre einfacher, als sich das Handgelenk aufzuschlitzen. Aber … Sie schaute über die Schulter in Richtung
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