Unsterbliche Liebe
Wahrheit konnte er ihm auch nicht sagen. Oder doch? »Sam«, begann er, »ich bin letzte Nacht bei deiner Mutter geblieben, weil sie Angst hatte wegen des Stromausfalls.« Selbst ein Kind würde die Geschichte niemals glauben!
Seine Skepsis war wohl begründet. »Ja, genau! Bloß hat sich meine Mom im Dunkeln nie gefürchtet!«
»Da war etwas im Viertel.« Vorkommnisse, für die er und Kit verantwortlich waren. »Es gab einen Riesenpolizeieinsatz und Ärger wegen dem Haus dort unten an der Straße.«
»Ach, da!« Sam nickte. »So macht das langsam Sinn. Ist ’ne üble Bande da unten.« Er machte eine Pause und sah Justin lange an. »Du wirst immer gut sein zu meiner Mom, ja?«
»Ja, Sam, versprochen. Ich werde tun, was immer ich nur kann für sie … und dich.«
»Gut. Ich mag dich. Gott sei Dank bist du keiner von diesen Versagern, die ihre Freunde im Stich lassen.«
Sams Worte waren ein Hieb in Justins ohnehin schon schlechtes Gewissen. Er konnte ihm nun einmal nicht versprechen, die beiden niemals sitzen zu lassen, konnte nun einmal nicht versprechen, Stella nicht wehzutun, und er konnte nun einmal, verdammt, einem neunjährigen Jungen nicht die komplizierten Feinheiten vampirischer Moralgesetze erklären. »Du bist ein guter Junge«, sagte Justin. »Deine Mutter muss irre stolz auf dich sein.«
»Ist sie auch«, pflichtete ihm Sam bei, gerade als sie die Haltestelle samt einer Gruppe wartender Kinder erreicht hatten.
»Mach’s gut, Sam.« Justin hatte, unglaublich, einen richtigen Kloß im Hals. Nach dem heutigen Abend würde er diesen Jungen nie mehr wieder sehen, würde er einer von diesen Versagern sein, die ihre Freunde im Stich ließen.
Als hätte er etwas bemerkt, drehte sich Sam noch einmal um. »Ich mag dich wirklich«, sagte er und umarmte Justin spontan.
Justin hätte heulen können, als er den kleinen, zerbrechlichen Körper in seinen Armen spürte. »Pass gut auf dich auf, Sam, und auf deine Mutter«, sagte er zutiefst bewegt.
Sam winkte ihm noch zum Abschied und trottete dann auf seine Freunde zu.
Justin winkte ihm auch noch hinterher und trat dann schweren Herzens den Nachhauseweg an.
Er fühlte sich noch schlimmer, als ihn Stella wie einen siegreichen Helden begrüßte. »Du bist mir vielleicht einer«, sagte sie, als er zur Tür hereinkam. Sie lächelte verschmitzt. »Das wird ein Wahnsinnstag für mich. Dabei sollte ich eigentlich völlig groggy sein, aber von wegen!«
Er sollte sie wissen lassen, dass Sex bei Vampiren wie eine Droge wirkte, besann sich aber aus purem Egoismus eines Besseren. Hoffentlich würde sie nie einen anderen Mann finden, ob sterblich oder unsterblich, mit dem sie das teilen konnte, was sie beide geteilt hatten. »Wir sehen uns dann heute Abend.«
»Hoff ich doch!« Sie umschlang seinen Nacken und küsste ihn. Nein, verdammt, das war es nicht! Sie küsste ihn und raubte ihm sämtliche Sinne. Er hätte sie auf der Stelle nehmen können, auf dem Dielenboden. Unter Umständen würde sie es noch bis zum Sofa schaffen. Er löste sich von ihren Lippen.
»Ich muss gehen.« Sonst würde er noch sofort mit der Wahrheit herausplatzen. »Heute Abend, Stella.« Er drückte einen Kuss auf ihr Haar. »Heute Abend.«
»Ich bin auf alle Fälle bereit.« Sicher nicht für das, was er ihr zu sagen hatte.
Beinahe hätte er einen Sprint hingelegt, egal ob jemand den Sog in seinem Schlepptau bemerkt hätte, aber er verzichtete. Eine Sache musste er noch überprüfen, ehe er ganz in Selbstmitleid aufging.
Auf halber Strecke waren zwei Arbeiter auf einer Hebebühne damit beschäftigt, einen ausgebrannten Transformator wiederherzustellen. Zwei weitere Gruppen tummelten sich in der Umgebung des mittlerweile verlassenen Drogenhauses.
»Was ist denn eigentlich passiert letzte Nacht?«, fragte Justin einen der Arbeiter. »War ja mächtig was los.«
Der Mann zuckte mit den Schultern. »Ein Irrer im Drogenrausch hat die Zähler herausgerissen. In einer Stunde oder so ist die Straße wieder mit allem versorgt, aber …« Er schüttelte den Kopf. »So ein Chaos hab ich noch nie gesehen. Hulk könnte nicht schlimmer wüten. Die müssen auf Speed gewesen sein, auf ’ner ganz neuen Sorte, oder was weiß ich.«
Ein einzelnes, an der Ecke geparktes Polizeiauto schien einzig zu dem Zweck da zu sein, die Arbeiten zu beobachten – oder den Schauplatz des Verbrechens, und ob jemand dorthin zurückkehren würde. Wie auch immer, mit Vampiren als Täter rechneten sie am allerwenigsten. Das
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