Unsterbliche Liebe
verbesserte Justins Stimmung kurzfristig.
Seine Schritte führten ihn automatisch in den Park. Es war der pure Masochismus, diese Wege noch einmal zu gehen, aber er konnte nicht anders. Vor der Schule spuckten mehrere gelbe Busse ganze Scharen lachender und fröhlich schnatternder Kinder aus. Wie er Sam vermissen würde. Er hatte seit Jahrhunderten kein Kind mehr gekannt und musste unwillkürlich an seinen jüngeren Halbbruder denken, konnte sich aber nicht einmal mehr genau an Lucius’ Gesicht erinnern. Würde er eines Tages auch Sams ernsten Blick vergessen, mit dem er gefragt hatte, ob »etwas läuft« zwischen ihm und Stella?
Das gelbe Flatterband der Polizei war mittlerweile von dem Areal um die »Umbrella Girl«-Statue verschwunden. Nur Reifenspuren wiesen noch auf die Stelle hin, an der letzte Woche …, war das wirklich erst eine Woche her? Wie konnten sich die Ereignisse nur so überstürzen? Von einem beschaulichen Restaurantbesuch über einen vielversprechenden Spaziergang hin zu jenen Schüssen, die alles verändern sollten. Hätte er sie doch einfach nur gepackt und sich aus dem Staub gemacht, aber nein, er hatte sich in diese Wut hineinsteigern müssen.
Merkwürdig, wäre Kit nicht gewesen, er selbst wäre in seinem Schmerz niemals auf die Idee gekommen, Stella zu verwandeln. Wie recht Kit doch gehabt hatte. Stella würde die Kolonie in jeder Hinsicht bereichern, nur würde er nichts mehr davon haben. Justin ging quer über den Rasen, trat mit dem Fuß ab und an fest gegen einen Laubhaufen und wünschte sich, er könnte die Uhr zurückdrehen und letzten Freitag noch einmal durchleben. Er lachte bitter auf. Als wüsste er nicht längst, dass nicht einmal ein Vampir das vermochte.
Der Gedanke, Stella verlassen zu müssen, zerriss ihm das Herz. Er erinnerte sich, wie unbekümmert er Kit damals dazu gedrängt hatte, Dixie zu verlassen. Nun musste er den Preis für seine billigen Ratschläge zahlen. Aber welche andere Wahl hatte er denn? In einem groben Verstoß gegen Gesetze, die er selbst mit auf den Weg gebracht hatte, hatte er zwei Sterbliche attackiert und schwer verletzt. Er hatte keine Verteidigungs- oder Einspruchsmöglichkeit, hätte die Verbannung aus der Kolonie jederzeit hingenommen, aber der Gedanke, Stella zu verlieren, war unerträglich.
Und ehe er sie verließ, würde er sie verletzen. Er ließ sich nicht davon täuschen, ein paar harsche Worte würden sie davon abbringen, ihn zu lieben. Dazu war sie zu loyal und beständig. Er würde sie verletzen, und sie würde sich weiter durchschlagen, für Sam. Wenigstens einen Mann hatte sie, der ihr die Treue hielt. Er wagte es nicht, Stella die Wahrheit zu sagen. Er würde ihr auf Wiedersehen sagen und einfach gehen, sein Herz und seine Seele mitnehmen müssen. Von Dixie her kannte er diese Art Frauen und wusste, wie Stella sich verhalten würde, wenn er ihr die Wahrheit sagte. Keinen Zentimeter würde sie von seiner Seite weichen und ihm stante pede ins Exil folgen, was den sicheren Tod für sie bedeuten würde. Denn was schon für ihn schwer genug war, nämlich zu überleben ohne die Unterstützung durch die Kolonie, war für einen Frischling wie Stella schlichtweg unmöglich.
Nein, er musste Stella zurücklassen. Kit und Dixie würden ihr zur Seite stehen und ihr zeigen, was sie zu lehren er nicht die Zeit gehabt hatte. Heute Abend würde er sie in den Zoo mitnehmen und ihr erklären, wie man Tiere anzapfte. Er würde ihr einen Vorgeschmack aufs Fliegen vermitteln, um ihr dann Adieu zu sagen. Mochte Abel ihm Kraft geben!
Morgen würde sie ihre Mutter besuchen und den ganzen Tag unterwegs sein, und ehe sie und Dixie wieder zurückkehrten, wäre er längst Geschichte.
* * *
Als Justin die Tür hinter sich schloss, wählte Stella gerade Dixies Nummer. Eigentlich hätte sie an diesem Vormittag waschen wollen, aber da das nicht möglich war, könnte man ja die Pläne für den Nachmittag jederzeit vorziehen.
»Hi, noch immer kein Strom?«, fragte Dixie.
»Ja, die ganze Straße. Ich wollte heute Vormittag eine Trommel machen, aber das geht ja nun nicht, und da hab ich mir gedacht, ich könnte früher in den Laden kommen, oder aber wir beide treffen uns mit diesen zwei … Ghulen.« Sie brachte das Wort kaum über die Lippen und hatte doch vor, eines dieser Wesen als Babysitter für Sam zu engagieren!
»Warum nicht. In einer Stunde hol ich dich ab.«
Christopher stutzte, als Dixie die Beine schwungvoll aus dem Bett nahm. »Was habt ihr beide
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