Unsterbliche Liebe
dafür, warum ich Stella verwandelt habe. Ein weiterer Grund, muss ich zugeben, war die Verzweiflung darüber, die Frau, die ich über alles liebe, tot vor mir liegen zu sehen. Darauf ist sicher auch mein Wutanfall zurückzuführen, aber darüber hinaus konnte ich auch Sam nicht schutzlos zurücklassen. Sam braucht sie ebenso sehr, wie ich Stella brauche.«
Stella hatte das Gefühl, abzuheben und zu schweben. Sie wollte Justin um den Hals fallen und ihn küssen, aber sie befanden sich ja mitten in einer Vampirgerichtssitzung.
»Sehr rührend das alles«, sagte John, »aber da Justin verbannt werden wird …«
»Noch ist er nicht verbannt!« Stella sprang auf und ließ ihren Blick kreisen. »Was ist eigentlich los mit euch? Wie hättet ihr denn in Justins Situation reagiert? Vielleicht Johnny Day höflich darum gebeten, die Kanone herauszurücken? Glaubt ihr im Ernst, er hätte das gemacht? Eher hätte er noch mehr Menschen umgebracht: den Parkdiener vor dem Barcelona, Restaurantgäste, die das Lokal verlassen, um nachzusehen, was draußen vorgeht, Polizisten. Der Abend hätte in einem Blutbad enden können.«
John schien nicht überzeugt. »Unwahrscheinlich. Justin hätte ihn problemlos entwaffnen können.«
»Schon möglich, aber hätte er sie dann bis zum Eintreffen der Polizei festgehalten, hätte er eine Menge Fragen beantworten müssen, zum Beispiel, wie er schneller sein konnte als eine abgefeuerte Kugel, oder warum seine Wunden von selbst heilten. Ich wäre tot gewesen und Sam Vollwaise. Aber nun bin ich hier, und Sam hat sein Zuhause; Warty will auf den Pfad der Tugend zurück, und wer weiß, vielleicht kommt ja auch Johnny Day zur Vernunft und knallt keinen mehr ab, nur weil er sich auf die Füße getreten fühlt.« Stella verschränkte die Arme und sah sich um. Alles Vampire, durch die Bank, manche von ihnen Jahrhunderte alt, trotzdem konnte ihr der ganze Haufen gestohlen bleiben!
»Nimm wieder Platz, Liebes. Ich glaube, du machst einige der Anwesenden nervös.«
Letzteres war lächerlich, aber der Gedankenkontakt mit Justin tat ihr gut und sie setzte sich.
»Ich liebe dich.«
»Ich weiß.«
Seine Worte hallten derart laut in ihrem aufgewühlten Kopf, dass sie die vollkommene Stille, die ihrem Plädoyer gefolgt war, zunächst gar nicht wahrnahm. Sie hörte ein Auto, das auf der City Park Avenue südwärts fuhr, und das Ticken der antiken Uhr auf dem Kaminsims, sonst jedoch keinen noch so schwachen Laut wie etwa Atem- oder Herzgeräusche der um sie herum Versammelten. Natürlich nicht! Es herrschte Grabesstille. Sie unterdrückte ein Lächeln. Das hätte möglicherweise einen falschen Eindruck gemacht. Stella sah Gwyltha in die Augen, drängte sie mit aller Macht zu einem Freispruch.
»War’s das?«, fragte Gwyltha.
»Ich glaube ja.« Vielleicht war’s das ja wirklich, in mehr als nur einer Hinsicht.
Aber Gwylthas Nicken wirkte eher neutral als feindselig. »Hat sonst noch jemand was dazu zu sagen?«
»Ja, ich.« Alles drehte sich um, als der eher kleine, verhärmt wirkende Vampir vortrat. Stella bemerkte erstmals seine verkrüppelten Finger. Wie Kits Auge vielleicht auch eine Verletzung von früher?
»Tom.« Gwyltha sprach ihn direkt an. »Ja?«
Das war also dieser Tom, den Justin bereits erwähnt hatte.
»Gwyltha, verehrte Kolonisten.« Tom nickte Gwyltha und allen Übrigen zu. So also sah die höfliche Art der Anrede unter Vampiren aus. Nun wusste sie Bescheid. »Ich werde Justin die Treue halten, wie auch immer ihr euch entscheidet. Er hat an meiner Verwandlung mitgewirkt. Ich kann unmöglich in einer Kolonie verbleiben, die meinen Mentor ausschließt.«
Ein Schreckensseufzer, wie er Vampiren gerade noch möglich war, machte die Runde.
»Du würdest uns ohne deine Kenntnisse sitzen lassen?«, platzte eine dunkelhaarige Frau geschockt hervor. Dann wandte sie sich an Gwyltha.
»Ich bin ebenso schockiert wie du, Antonia«, erwiderte Gwyltha.
»Ich würde euch nie im Stich lassen!«, blaffte Tom. »Wann hätte ich je einem Vampir meine Hilfe verweigert? Aber ich halte trotzdem zu Justin. Das steht fest.«
In der Stille war die Spannung förmlich greifbar. Stella spürte sie wie eine Brise auf ihrer Haut, bemerkte aber dann, dass es Justin war, der sie in seine Gedanken einhüllte. Was war da los?
»Sei jetzt ganz still«, flüsterte sein Bewusstsein ihr zu. »Lass die anderen reden.«
Sie fühlte sich so sicher, als sein Bewusstsein mit ihrem verschmolz, aber waren sie das
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