Unsterbliche Liebe
das Ergebnis konnte sich sehen lassen, wenn man bedachte, dass er seit gut einem Jahrtausend nichts mehr gegessen hatte. Er hatte sechs verschiedene Pizzen besorgt. Zum Glück hatte sie genügend Platz im Eisfach: Hotdogs und eine Familienpackung mit Tiefkühlhamburgern – mehr als genug für Sam bis ins nächste Jahr hinein, aber keine Brötchen. Brot war da, allerdings solches mit Zimt und Rosinen. An Käse und Eier hatte er gedacht, gut, aber als Frühstücksmüsli gab es nur Haferflocken, klassisch, pur, ohne alles. Da sollte sie sich wohl besser an die Zubereitungsempfehlungen auf der Packung halten. Milch hatte er überhaupt keine gekauft, und auch keine Chips und kein Gebäck, wie überhaupt fast alles, was er gebracht hatte, ziemlich gesund war. Da würde Sam sicher enttäuscht sein. In der zweiten Tasche fand sie Obst: Orangen, Trauben und Granatäpfel! Sie wusste gar nicht, ob Sam jemals schon einen gesehen hatte. Sie hatte jedenfalls noch keinen probiert und würde auch nicht mehr dazu kommen.
Sie musste sich setzen bei dem Gedanken. Nie wieder frische Plätzchen zu essen, Bratwurst mit Brötchen und Sauce zum Frühstück oder Sauerrahm auf einer Ofenkartoffel! Aber sie war immerhin am Leben – in gewisser Weise. Einzig Justin hatte sie es zu verdanken, dass sie jetzt nicht in einem Sarg lag. Wie konnte sie da Bratwurstsauce und Granatäpfeln hinterhertrauern – aber sie brauchte noch vor morgen früh Milch. Sie rief Dixie im Laden an und bat sie, unterwegs noch schnell einen Liter fettarme Milch zu besorgen. »Hat Justin sonst noch was vergessen? Immerhin geht er nicht jeden Tag zum Einkaufen.«
Noch während sie Dixie sagte, sie würde zurechtkommen, platzte Sam herein. »Hast du schon gehört, Mom?«
Sie verabschiedete sich schnell von Dixie und wandte sich Sam zu. »Was denn, Schatz?«
»Johnny Day. Er hat sich beide Arme und ein Bein gebrochen und muss sich wie Baby von seiner Mom beim Pullern helfen lassen!« Er warf seinen Schulranzen auf den Boden. »Ich hab Hunger.«
»Es gibt Rosinentoast und Obst.« Sie warf den Toaster an und schnitt einen Granatapfel auf.
»Was ist denn das?«, fragte Sam.
»Ein Granatapfel«, sagte Justin. »Als kleiner Junge habe ich sie geliebt.«
Vielleicht brachte ja gerade das ihre Verschiedenheit auf den Punkt. Er hatte als Kind Granatäpfel gegessen, und sie war mit Dosenobst groß geworden.
»Nie einen probiert, Sam?«, fragte Justin.
Sam schüttelte den Kopf und sah ihn skeptisch an. »M-m.«
»Und? Traust du dich?«
Sam wirkte nicht sehr überzeugt, probierte aber tapfer einen Bissen, das junge Gesicht aufmerksam gespannt. »Schmeckt gut«, sagte er, »aber was ist mit den Kernen? Spuckt man die aus?«
Justin schüttelte den Kopf. »Das machen nur Barbaren. Iss sie mit.«
»Was sind denn Barbaren?«, fragte Sam mit vollem Mund und rotem Saft auf dem Kinn.
»Leute, die zerstören, was andere aufbauen, die nicht lesen können und nichts lernen wollen und die sich weigern, Neues zu verstehen.«
Alle Achtung! Stella war heilfroh, dass diese Frage nicht ihr gegolten hatte. »Und den Mund wischen sie sich auch nicht ab«, fügte sie hinzu und reichte Sam ein Küchenkrepp.
»Oh, Mom«, sagte Sam, während er sich den Saft über das ganze Kinn verrieb. »Sind Johnny Day und seine Bande auch Barbaren?«
»Vielleicht«, erwiderte Justin. Er sah Stella an. »War das nicht der Bursche, der …« Stella nickte. Der Toast schnellte hoch, und sie begann die Scheibe zu buttern.
»Pete Day wurde verhaftet, weil er in die Schule eingebrochen ist!« Sam war in seinem Element. »Und Johnny wurde letzten Freitag zusammengeschlagen.«
Justin erstarrte minutenlang, und Stella krampfte sich der Magen zusammen. Der letzte Freitag! »Was ist denn passiert?«
Dummerweise hatte sie ihm gerade den Toast gegeben und musste nun endlose Sekunden lang warten, während derer Sam kaute und schluckte. »In der Schule sprechen alle darüber. Carrie Day hat es uns im Bus erzählt. Sie ist ganz nett und kann nichts dafür, dass ihre Brüder so sind.« Sam biss nochmals ab.
»Die hat es wohl schwer erwischt, oder?«, fragte Justin. »Gebrochene Knochen?«
Sam nickte. »Ich sag ja! Johnny Day hat drei Gipsverbände, und seine Mom muss ihn anziehen und alles für ihn machen wie für ein Baby. Das hat Carrie gesagt. Sie sagt auch, dass er jetzt noch böser ist als eine Schlange und dass es ihrer Mom lieber wäre, wenn sie ihn im Krankenhaus behalten hätten.« Sam kaute weiter.
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