Unsterbliche Sehnsucht
»Erzähl’s mir.«
Er blickte sie ernst an. »Möchtest du das wirklich wissen, Baby? Versprichst du mir dann, dass du nachher das Aua wegpustest?«
Sie stand auf, ging auf ihn zu und streckte eine Hand nach ihm aus. Er stellte sie auf die Probe und bewegte sich nicht. Schön, sie würde keinen Rückzieher machen, davon konnte er ausgehen.
»Frag dich, ob du wirklich weißt, was du da gerade tust.«
»Erzähl’s mir«, forderte sie ihn erneut auf. »Ich möchte es wissen.« Zu ihrer eigenen Verblüffung stimmte das wirklich. Als er sie ansah, zuckte sie nur mit den Schultern. »Wirklich, und ich bin hartnäckig. Da kannst du meine Kollegen fragen.«
»Stur«, gab er zurück und lockerte ein wenig die Schultern. »Es ist während des Engelssturzes passiert.«
»Und warum ist es geschehen?« Er hatte ihr einen Anhaltspunkt gegeben, nun würde sie ihn ganz bestimmt nicht mehr vom Haken lassen.
»Ist die Schulbildung wirklich so schlecht geworden?« Zer ging hinüber zu einem Schrank, zog ruckartig die Schubladen auf und wühlte darin nach sauberen Klamotten. »Das musst du doch wissen.«
»Ich kenne die offizielle Geschichte. Das, was davon überliefert ist zumindest. Die himmlischen Herrschaften, die Engelskrieger an vorderster Front, erhoben sich gegen den Himmel. Es gab einen Umsturzversuch, bei dem die Herrschaften – ihr also – verloren habt. Zur Strafe befahl der Erzengel Michael, euch die Flügel auszureißen, und schickte euch auf die Erde, wo ihr nun unter uns Menschen leben müsst. Ich weiß aber nicht so recht, ob mir die Vorstellung gefällt, dass meine Welt im Himmel als das Äquivalent einer Strafkolonie betrachtet wird«, setzte sie nachdenklich hinzu. »Ich lebe eigentlich gern hier.«
Er zog schließlich eine Jogginghose aus der Schublade, ließ das Handtuch fallen und gewährte ihr einen Blick auf seinen knackigen Hintern. Als er sich nach vorn beugte, um in die Hose zu schlüpfen, stockte ihr der Atem. Er war prachtvoll und so … männlich.
»Ja, das ist die offizielle Version.« Zer stieß die Schublade zu und kam dann zu ihr geschlendert. Mit einem unnachgiebigen Lächeln auf den Lippen ragte er über ihr auf. Doch sie wich nicht zurück. »Aber wir wissen doch beide, dass die Sieger die Geschichte schreiben.«
»Und«, sie musterte ihn, »entspricht die offizielle Geschichte auch der Wahrheit?«
Es war nicht einfach, zu erklären, was sich vor dreitausend Jahren abgespielt hatte. Noch ehe er etwas erwidern konnte, wurde er von Erinnerungen überflutet.
Die Frau vor ihm beugte sich vor und wiegte sich hin und her, die blassgoldene Haut ihrer nackten Beine blitzte auf, als ihre Röcke im Takt der Musik schwangen. Sie betrachtete ihn aus dunklen Augen, in denen ein sinnliches Versprechen lag. Davon träumte jeder Mann, doch Zer sah nur Leichen.
Wie beschissen war das denn?
Er hätte eine ganze Woche Fronturlaub benötigt, immer wieder gingen ihm diese Bilder durch den Kopf.
Drei weibliche Mitglieder der Herrschaften in drei Wochen … Es hatte schon immer mehr Männer unter ihnen gegeben, deshalb wurden die Frauen streng bewacht, förmlich angebetet. Es war wichtig, ihre Sicherheit zu wahren, koste es, was es wolle. Doch nun befand sich das gesamte Lager der Herrschaften in Aufruhr. Die aufgebrachten Engel schienen kurz davor zu sein, jemanden zu lynchen. Denn die jüngsten Taten waren grausam. Der mordende Hurensohn hatte seine Opfer aufgeschlitzt, sie verbluten lassen und sich dabei brutal sexuell an ihnen vergangen.
Es sah nach dem Werk eines Dämons aus. Zer krallte sich in den mit Quasten besetzten Kissen fest und zwang sich, nicht wegzusehen, als die Tänzerin sich tiefer vorbeugte und mit den Hüften wackelte, bevor sie schließlich in die Knie ging, sich nach hinten bog und den ersten Schleier fallen ließ.
Er war ein hartgesottener Krieger und verteidigte bereits seit zweihundert Jahren den Himmelsthron gegen die dunklen Dämonen, welche aus anderen Reichen hervorgekrochen kamen. Er hatte den Tod gesehen, war Zeuge von Brutalität geworden. Doch das alles schien im Vergleich zu diesen Todesfällen nichts zu sein.
Sein Instinkt sagte ihm, dass sie nicht auf das Konto eines Dämons gingen, egal, wie grausam die Morde auch sein mochten. Er hatte Jahrzehnte damit verbracht, Fährten lesen zu lernen. Die Spuren der Klingen passten nicht. Es waren zwar zuvor welche gestohlen worden, doch auch das Muster der Einstiche und Schnitte kam ihm irgendwie bekannt vor. Es handelte
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