Unsterbliche Sehnsucht
Personalakte mit ihm zu besprechen. »Sie sehen gut aus.«
Als hätte er Tags zuvor nicht ganz direkt eine Drohung ausgesprochen. Wieder trug er eine langweilige Kombination aus Anzug und Krawatte und wie schon am Vortag saß sein Hemd erneut viel zu eng.
Erwartete er etwa, dass sie hier am Tatort höflich mit ihm Small Talk betrieb, während neben ihnen die Leiche abkühlte? Offenbar schon, denn er redete einfach munter weiter. »Der Sicherheitsdienst hat berichtet, dass es gestern einen Unfall in Ihrem Hörsaal gab, aber wie es aussieht, ist niemand zu Schaden gekommen, was? Ist Ihnen denn jemand zu Hilfe gekommen?«
Er rieb sich die Hände, wobei sich Licht in dem großen Stein an seinem Ring fing. Sexistischer Mistkerl! Sie verspürte einen vorher nie gekannten Drang, ihn zu treten, und kämpfte dagegen an. Dem Dekan eine zu verpassen, wäre karrieretechnisch gesehen Selbstmord. Also versuchte sie die Wut, die in ihr hochgekocht war, sorgsam zu unterdrücken. Zuerst kamen die Fakten. Trotz ihrer berechtigten Zweifel würde sie sich zunächst ein richtiges Bild machen und
dann
handeln. Dieser Scheißkerl!
»Ja, ist«, antwortete sie mit angespanntem Tonfall. Am Tag zuvor war er knapp an einer Klage wegen sexueller Belästigung vorbeigeschlittert. Heute benahm er sich. Und sie hätte wetten können, dass der Grund für seinen Sinneswandel direkt hinter ihr stand.
Der Dekan wandte den Blick von ihr ab und schaute Zer lange an. Wahrscheinlich guckte sich der Mistkerl einiges von ihrem Ober-Manipulanten ab.
Zer beugte sich zu ihr herunter, sodass sein Atem über ihr Haar strich. »Ich schlitz ihn für dich auf, wenn du willst«, murmelte er. »Sag mir, dass ich diesen rückgratlosen Bastard für dich umbringen soll, und ich tue es.«
Mittelalterlich … Primitiv … Und hochgradig befriedigend, wenn auch unnütz. »Ich brauche deine Hilfe nicht.« Wenn sie beschließen sollte, einen Mord zu begehen, dann würde sie es selbst tun.
Zer zuckte mit den Schultern und vergrub seine Hände in den Taschen seines Staubmantels. »Ganz wie du willst.«
Er klang nicht besonders überzeugt.
Sie wollte zwar ihr altes Leben zurückhaben, aber das war ganz sicher nicht der richtige Weg.
Der Dekan beobachtete ihren Wortwechsel verstohlen. Dieses Mal ließ er seinen Blick tiefer wandern und dort verweilen. »Professor Markoff sagte mir, er habe noch nichts von Ihnen gehört.«
Es waren noch nicht einmal vierundzwanzig Stunden vergangen, und sie hatte die Zeit zu einem Großteil damit verbracht, um ihr Leben zu laufen und einem mordenden Irren zu entkommen. Was glaubte er denn, was sie getrieben hatte? Sein selbstzufriedenes Grinsen verriet ihr, dass er sie am ausgestreckten Arm verhungern lassen und jeden Moment davon genießen würde – egal, ob ein Mord auf dem Campus geschehen war oder nicht.
»Drei Tage, Dekan. Sie haben mir drei Tage eingeräumt. Mir bleibt also noch genügend Zeit.« Doch angesichts ihres zweifelnden Blicks lächelte er nur und rieb sich die Hände. Als ihnen ein Reporter vom Absperrband aus eine Frage zurief, schlenderte ihr Erzfeind zu ihm hinüber, um den Mann vollzuquasseln.
»Gratis«, grollte Zer hinter ihr. »Es wäre ein Geschenk an dich.« Beim Gedanken an sein letztes
Präsent
wurde ihr ganz heiß. »Keine Geschenke mehr«, murmelte sie.
Zer trieb sein durchtriebenes Spiel mit ihr – zeigte Nessa, was geschehen könnte, Positives wie Negatives. Gut möglich, dass er den Abtrünnigen dieses Opfer zum Fraß vorgeworfen hatte, um seinen Standpunkt klarzumachen. Das glaubte sie zwar nicht wirklich, sicher sein konnte sie sich aber auch nicht. Er war dazu fähig. So viel stand fest.
Zer wusste, dass er ihr Misstrauen schürte. Und er hasste es wie die Pest, doch er konnte es nicht riskieren, sie zu nah an sich heranzulassen. Die vergangene Nacht hatte sie etwas besänftigt. Sie nun wieder von sich wegzustoßen machte ihn fertig, doch es musste sein. Sie würde sich mit einem seiner Brüder verbünden und bis ans Ende ihrer Tage mit ihm glücklich sein, auch wenn sie noch nichts davon ahnte. Ja, und wenn er sich dieses Märchen weiter einredete, würde er es am Ende vielleicht sogar selbst glauben. Aber das alles spielte ohnehin keine Rolle. Sie war das Mittel zum Zweck, das er brauchte, und er würde sie nicht entkommen lassen. Es hatte sich als eine gute Entscheidung herausgestellt, sie an diesen Ort zu bringen. Nun begriff sie, dass Cuthah es ernst meinte.
Nael und Vkhin lösten sich aus
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