Unsterbliche Sehnsucht
Möglichkeiten – zu gehen oder zu bleiben. Wenn sie bliebe, würde sie alles riskieren, jemanden auswählen und sich mit einem von
ihnen
verbünden. Dann wäre es jedoch zu spät, selbst wenn sie die Wahrheit herausfinden sollte. Ihre Seele würde bereits nicht mehr ihr gehören.
Als sie noch einen Schritt weiterging, spürte sie Teppichboden unter den Füßen und nicht mehr die glatten Fliesen der Tanzfläche. Bingo! Das verdammte rote Kleid leuchtete jedoch heller als ein Neonschild mit dem Hinweis »Hier ist die Beute«. Zer hatte Klamotten ausgesucht, in denen sie sich nicht nur unwohl fühlte, sondern die zugleich auch bewirkten, dass sie sich fragte, ob sie ihre Entscheidung nicht doch noch einmal überdenken sollte. Möglicherweise würde sie das Kleid einfach behalten; sie musste es ja nicht mit
ihm
tun.
Vielleicht ließ sich irgendwo eine Jacke finden, die sie sich überwerfen konnte. Das Problem war nur, dass die Gefallenen ihre Sachen offenbar nicht herumliegen ließen. Es hingen weder Jacken über den Stuhllehnen, noch befanden sich welche auf den glatten Lederbänken, die überall im Club verteilt standen. Hinzu kam dieses ungute Gefühl, dass die Gefallenen sie witterten. Sie würden ihr im Bruchteil einer Sekunde auf den Fersen sein.
Und trotzdem musste sie es einfach versuchen und die ganze Aktion deshalb möglichst schnell durchziehen.
Lässig zog sie die Mörder-High-Heels aus, in denen sie nie im Leben hätte rennen können. Sie würde sich bei dem Versuch höchstens einen Knöchel verstauchen – oder sogar gleich beide – und dann wäre sie genau da, wo Zer sie haben wollte. Barfuß zu flüchten erschien ihr da schon sicherer, auch wenn es draußen eisig kalt war. Sie freute sich nicht gerade auf den Sprint über den Gehweg.
Warte!
Die Musik ging in einen hämmernden Mix aus House und Techno über, sodass sich die Tänzer in ihrer Ekstase schneller bewegten. Eilig glitt sie zwischen zwei Bänke in ihrer Nähe und plante den nächsten Schritt. Die Menge drehte sich um und sah zu einem Balkon im zweiten Stock hinauf, was ihr mehr als gelegen kam, da sie auf diese Weise nicht zu vielen Blicken entgehen musste.
Vielleicht gelang es.
Sie legte gerade eine Hand auf die metallene Türklinke, als sie jäh innehielt. Nessa spürte, wie sich Naels Finger um ihre Handgelenke schlossen, und, als hätte sie es nicht schon geahnt, ließ sich auch die verdammte Tür nicht öffnen. Der Gefallene tat ihr zwar nicht weh, machte aber deutlich, dass sie ohne seine Erlaubnis nirgendwo hingehen würde.
»Lass mich raus!« Es hatte keinen Zweck, so zu tun, als wäre es gar nicht ihr Plan gewesen, zu flüchten. Er hatte ja schließlich Augen im Kopf.
Ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen, was ihr ganz und gar nicht gefiel. Es wirkte bedauernd. Offensichtlich war er gerade nicht in der Stimmung, entgegenkommend zu sein. »Das kann ich nicht.«
Oh doch, er wollte es nur nicht. Nessa überlegte krampfhaft, wie sie ihn überreden konnte. »Es ist nicht richtig. Ihr dürft mich nicht hierbehalten.« Sie selbst merkte, wie kurzatmig und kraftlos sie klang.
»Wir brauchen dich, Süße. Und ich glaube, du wirst feststellen, dass wir gar nicht mal so übel sind.«
»Ihr seid Gefallene.« Hallo, Käpt’n Offensichtlich. »Kann es noch übler kommen?«
Er lächelte anerkennend und begann, ihre Finger vom Türgriff zu lösen. Nessa überlegte kurz, es ihm leicht zu machen und noch ein Stück Würde zu behalten, gab sich dann aber der Panik hin, die sie erfasste.
»Er hat dir gesagt, dass du alles tun sollst, um mich zu überreden.« Sie machte sich nicht die Mühe, ihren Vorwurf abzumildern, ihre volle Aufmerksamkeit galt vielmehr der großen Hand, mit der er noch immer ihren Arm umfasst hielt. »Lass mich los!«
»Das ist die Wahrheit«, gestand er, löste ihre Finger von der Klinke und legte sie in seine Armbeuge – wie galant und gefühllos zugleich. Und Pech für sie. »Er braucht dich. Und wir tun es auch, Nessa St. James.« Sanft zog er sie mit seinen Pranken die nächste Treppe hinauf und in Richtung des Balkons im Obergeschoss, auf den sich alle Blicke richteten.
»Was ist er für dich?«
»Er ist mein Herr, der Anführer der Gefallenen.« Er zuckte mit den Schultern, lief aber mit großen Schritten weiter. »Er hat uns geführt, als wir noch die Herrschaften waren, und zwar gut. Und als er schließlich beschloss, die Waffen gegen Michael zu erheben, sind wir ihm gefolgt.«
»War er …« Warum
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