Unsterbliches Verlangen
Sam?«, fragte Stella dann doch.
»Kannst du dir gar nicht vorstellen, Mum. Es gibt eine Tür und eine Treppe zu einem riesengroßen Speicher mit einem weiten Ausblick über den Garten und den Dorfanger bis hin zu ganz weit entfernten Häusern.«
Elizabeth seufzte auf, und Stella entspannte sich sichtlich. Seit Montag reagierten sie alle ein bisschen übernervös, wenn von neuen Entdeckungen die Rede war.
Sam kam ganz herunter. »Hast du was dagegen, Mum, wenn ich später noch mal kurz raufgehe?«
»Natürlich nicht, wenn Antonia nichts dagegen hat, und so lange du nichts anstellst. Aber jetzt braucht Elizabeth deine Hilfe.«
Stella sah ihnen von der Tür aus hinterher, als sie loszogen. Sam trug die Thermosflasche, Elizabeth das Tablett mit den Tassen und Tellern.
»Machst du dir Sorgen um ihn?«, fragte Antonia.
»Du meinst wegen der Leiche? Ganz zu schweigen von dem, was am Freitag passiert ist. Ja, natürlich mach ich mir Sorgen. Für eine Mutter ist das normal, aber ich rede mir einfach ein, er wird es verkraften. Wenn es ihn ängstigt, kann er sich an mich oder an Justin wenden. Aber bis jetzt hat sich ja alles gut entwickelt, abgesehen von dieser armen Toten. Die kann einem wirklich leidtun.«
»Mir geht sie auch nicht aus dem Kopf. Sie muss irgendwo Angehörige haben, die nichts von ihrem Schicksal wissen.«
Stella nickte. »Wenn alles gut geht, könnte sich das jetzt ändern. Was, wenn sie einen Mann gehabt hat? Oder gar Kinder? Einfach traurig.« Sie zuckte die Achseln. »Aber Grübeln bringt uns nicht weiter und nützt niemandem. Machen wir uns über die Bewerbungen her!«
Sie griff nach dem Stapel auf dem Schreibtisch.
Keine Viertelstunde später kam Sam zur Tür hereingelaufen. »Mum! Darf ich zu Peter spielen gehen? Er ist neun, und seine Mum hat mich eingeladen. Darf ich?«
Ihm folgten Emma und ein Junge mit blonden Haaren. »Sie sind die Mutter von Sam? Ich bin Emma Gordon. Wäre es in Ordnung, wenn Sam eine Weile zum Spielen bei uns bleibt? Uns wäre es sehr recht – Peters bester Freund ist nach dem letzten Schuljahr weggezogen, und es gibt sonst hier in der Nähe keinen gleichaltrigen Jungen.«
Nachdem das geklärt war, zog Sam mit seinem neuen Freund von dannen. Stella sortierte die Bewerber nach den Kategorien »Nein«, »Vielleicht« und »Von mir aus gerne«, während Antonia zum Telefon griff, um Termine auszumachen.
Elizabeth schwankte noch zwischen Webseite und Garten hin und her, als es an der Haustür klopfte.
Es war der junge Mann, der sich neulich im Garten aufgehalten hatte.
»Tut mir leid, wenn ich störe, aber Sie haben mich gebeten, zu fragen, ehe ich den Garten wieder betrete. Dürfte ich vielleicht?«
»Selbstverständlich«, erwiderte Elizabeth. »Ich komme gleich mit. War sowieso gerade unterwegs dorthin.«
Sie beobachtete ihn aus den Augenwinkeln heraus, während sie über den Rasen gingen. Ein merkwürdiger Bursche. Höchstens Mitte zwanzig. Verkrampft. Die Haare ein wenig durcheinander. Gut gekleidet, sogar teuer, aber seine Hose war schon ewig nicht mehr aufgebügelt worden und an seinem Hemd fehlte ein Knopf. War er vielleicht arbeitslos und hatte keinen Penny in der Tasche?
Im Zaubergarten blieb er vor dem Kamillenrasen stehen und sah sich um. »Es ist so friedlich hier.«
»Und es erinnert Sie an Ihre Mutter?«
Er nickte. »Genau.«
Sie sah ihn an, und in ihrem Kopf machte es Klick. Ein gesunder junger Mann, der mitten am Tag nichts mit seiner Zeit anzufangen wusste. »Müssen Sie nicht arbeiten?«
Er sah sie seltsam von der Seite her an. »Ich bin arbeitslos.«
»Hätten Sie gerne einen Job?« Das war ziemlich persönlich, aber …
Sein Blick wurde vorsichtig. »Warum fragen Sie?«
Männlicher Stolz? Testosteronbedingte Empfindlichkeit? »Sie scheinen den Garten zu mögen, und Sie wissen noch, wie er früher einmal ausgesehen hat. Und ich suche einen Gärtner.«
Eine gute Minute lang starrte er sie nur an. »Sie würden mich einstellen?«
»Wenn Sie Interesse haben, und vorausgesetzt, Sie können Rosen von Traubenkraut unterscheiden.«
Wieder schwieg er länger. »Ich versteh mich nicht allzu gut aufs Gärtnern, würde aber gerne hier arbeiten, und ich könnte Bert Andrews anrufen.«
»Welchen Bert Andrews?«
»Der Gärtner, der früher für die Underwood-Damen gearbeitet hat. Ist mittlerweile sicher über neunzig und lebt mit seiner Enkeltochter hier im Dorf.«
Ihr Angebot an ihn musste eine Eingebung der Göttin gewesen sein. Ein
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