Unsterbliches Verlangen
Schachtel, wie Juweliere sie benutzten. Das war nicht weiter merkwürdig, der Inhalt indessen durchaus.
In schwarzen Samt gebettet, lag dort ein Medaillon, dessen Durchmesser ungefähr acht Zentimeter betragen musste. Es war weder vollkommen oval noch sonst besonders schön gearbeitet, allerdings war die Gravur auf dem Deckel unverkennbar. Es war ein Kreuz - dasselbe Kreuz, das in Chapels Schulter gebrannt war. Auf der einen Seite des Kreuzes war ein Schwert eingraviert, auf der anderen ein Kelch.
»Was ist das?«, fragte Pru. »Kommt das von Molyneux?«
»Nein«, antwortete Chapel, der in jenem Moment wusste, was es war, in dem er nach dem Medaillon griff. »Molyneux hat es nicht geschickt.«
Das schwere Silber fühlte sich warm an, wie kleine Funken, die auf Chapels Haut tanzten.
Es war der Blutgral.
Er wusste nicht, wie oder wann Temple es gemacht hatte, aber irgendwie hatte der andere Vampir den Kelch einschmelzen und zu diesem Medaillon gießen lassen zweifellos eines von mehreren identischen. Temple hatte gewusst, dass jemand hinter dem Blutgral her war, hinter ihm, und hatte entsprechend Vorkehrungen getroffen, damit er nicht in falsche Hände geriet.
Woher hatte Temple es gewusst? Und warum hatte er nicht nach ihnen geschickt?
»Ist es das, was ich denke?«, fragte Pru.
Chapel nickte. »Kannst du es fühlen?«
Sie machte große Augen. »Mir ist, als würden sich mir sämtliche Haare sträuben.«
»Es kommt von Temple.«
»Da ist noch etwas.« Sie zog ein kleines Stück Papier aus der Schachtel. »Es sieht aus wie eine Adresse in Rom.«
Rom. Temple hatte die Stadt immer geliebt. Sollte er seinen Entführern entkommen sein, würde er dorthin fliehen. Auf jeden Fall aber wollte er, dass Chapel hinkam, um weitere Teile des Puzzles zu finden.
»Warst du schon einmal in Rom?«, fragte er Pru lächelnd.
Sie grinste. »Reisen wir hin?«
Er streckte sich wieder auf dem Bett aus und nickte. »Wenn du willst. Ich erwarte allerdings nicht von dir, dass du mir quer durch Europa folgst, während ich nach Temple ...«
Sie unterbrach ihn. »Selbstverständlich komme ich mit dir. Versuch ruhig, ohne mich zu gehen, es wird dir nicht gelingen. Ich bin jetzt ebenso in all das verwickelt wie du. Wäre ich nicht gewesen, hätte der Orden Temple nie so leicht gefunden.«
»Du irrst dich«, entgegnete er, »aber ich werde nicht mit dir streiten. Wir brechen heute Abend auf.«
Bis dahin konnten sie nichts tun. Später, wenn es wie der dunkel wurde, würden sie sich auf die Reise machen, die Temple für sie vorgesehen hatte. Bei Einbruch der Nacht begannen sie ein neues Abenteuer.
Aber nicht jetzt. Chapel war froh, hier zu sein, im Bett mit Pru, während es draußen hell wurde. Diese freudige Empfindung war noch so neu für ihn, dass er vorhatte, sie so gut auszukosten, wie er konnte.
Zwar war sein Freund ihm keineswegs gleichgültig, doch er kannte Temple gut genug, um zu wissen, dass er nicht nur ihm ein Medaillon geschickt hatte, sondern den anderen dreien ebenfalls. Was bedeutete, dass zumindest Bishop und wahrscheinlich Reign bereits auf der Suche nach ihm sein könnten. Ob Saint sich zu ihnen gesellen würde, war schwer zu sagen.
Temple war irgendwo dort draußen, und Chapel würde ihn finden, ganz gleich, wie lange es dauerte. Das war einer der Vorteile dabei, unsterblich zu sein.
Fürs Erste jedoch würde Chapel einfach mit seiner Frau, seiner faszinierenden Pru in den Armen einschlafen. Er musste schließlich ausgeruht sein für das ganze Leben, das sie noch vor sich hatten.
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