Unsterbliches Verlangen
daran, dass du dir ein klein wenig Glück suchst?«
Pru runzelte die Stirn und schluckte, weil sie einen Kloß im Hals hatte. »Du weißt warum, Caro.« Normalerweise würde ihre Schwester nicht einmal davon träumen, etwas so Skandalöses vorzuschlagen. Andererseits war es ja nicht so, dass Pru sich um ihre Reputation sorgen müsste. Und sie würde lügen, wenn sie behauptete, dass sie selbst gelegentlich nicht ähnliche Gedanken hegte.
Für einen kurzen Moment sah Pru denselben Schmerz in den Augen ihrer Schwester, den sie in ihrem Herzen empfand, dann verschwand er wieder. Caroline schien verärgert, und ihre Tasse und Untertasse klimperten, als sie beides auf das Tablett zurückstellte und sich erhob. Ihre Haltung wirkte steif und angestrengt.
»Wir alle gehen mit dem Wissen durchs Leben, dass wir eines Tages sterben werden, Pru.«
»Ja.« Pru bemühte sich um einen sanften Ton, obwohl sie am liebsten geschrien hätte. Wie gern würde sie die himmelschreiende Ungerechtigkeit bejammern und beklagen! »Aber die meisten von uns nehmen zu Recht an, dass sie alt und grau werden. Ich indessen werde vielleicht nicht einmal das kommende Jahr erleben.«
Ihre Schwester betrachtete sie streng. Offenbar wollte Caroline einen dramatischen Abgang machen - ein besonderes Talent von ihr. »Umso mehr Grund, dich nicht zu benehmen, als seist du bereits tot!«
Sie hatte Tränen in den Augen, als sie wie eine Diva aus dem Salon rauschte. Und der Anblick brach Pru fast das Herz.
Sie sank gegen die Sofalehne und vergrub das Gesicht in den Händen. Caro verstand sie nicht. Und Pru konnte ihr unmöglich begreiflich machen, dass sie zu leben beabsichtigte - nur eben nicht so, wie Caro es sich wünschte. Sie jagte einem Wunder nach, dem sie so nahe war, dass sie es beinahe schmecken konnte.
Wie könnte sie auch erwarten, dass irgendjemand verstand, was in ihr vorging - nämlich dass zu »leben« ihr fast genau solche große Angst machte wie zu sterben?
Kapitel 2
An dem Abend, an dem »diese katholischen Burschen« ankommen sollte, wie ihr Vater sie gern nannte, beschloss Pru, dass Rot eine passende Farbe für das Kleid wäre, das sie zum Abendessen trug. Rot war eine starke, kühne Farbe, und mit ein bisschen Glück fühlte sie sich darin ebenfalls stark und kühn.
Anfangs hatten die Ärzte ihr kaum etwas über den Krebs erzählt, der sie langsam, aber unaufhaltsam tötete. Schließlich war sie eine zarte Frauensperson. Sie sagten ihrem Vater, was sie ihr nicht mitteilten, weil sie fürchteten, die Wahrheit wäre zu viel für sie.
Vielleicht hätte sie es dabei belassen sollen. Dank der medizinischen Bücher jedoch, die in der Bibliothek ihres Vaters standen, wusste sie mehr über ihre Verfassung, als die Ärzte ihr jemals verraten würden. Manchmal fühlte sie ihn sich, wie er an ihr nagte und ihre Kraft aufzehrte.
Begonnen hatte es in ihren Eierstöcken, welche die Doktoren entfernten. Leider war das nicht genug gewesen. Und nun konnten sie weder ein zweite Mal operieren noch ihr sagen, wie viel Zeit ihr verblieb. Bei ihrer letzten Untersuchung vor gut einem Monat hatten sie ihr erzählt, dass sie im besten Fall noch den Jahrtausendwechsel erlebte.
Es gab so viele Dinge, die sie tun wollte, ehe sie sich ihrem Ende stellte. Sie wollte so schnell mit dem Daimler fahren, wie das Automobil konnte. Sie wollte die großen Pyramiden Ägyptens sehen. Sie wollte echte Leidenschaft erfahren. Leider schien es unwahrscheinlich, dass sie irgendetwas davon noch erreichen würde.
Ihre Zofe Fanny kam herein, als Pru gerade aus ihrem Bad stieg - ihre Gedanken eine Mischung aus bitterer Melancholie und resigniertem Pragmatismus. Mit einem Handtuch verbarg sie die Narben auf ihrem Bauch vor den mitleidigen Blicken der Zofe. Das Mädchen hielt Prus Abendkleid über dem Arm, dessen dunkles Rot kräftig leuchtete. Über dem helleren plissierten Chiffon war dunklere rote Spitze aufgenäht, die dem eindrucksvollen Kleidungsstück zusätzliche Eleganz verlieh.
Nachdem sie sich abgetrocknet und ihre Strümpfe, das Unterkleid und das Korsett angezogen hatte, setzte Pru sich hin, um sich von ihrer Zofe frisieren zu lassen. Fanny steckte ihr das Haar zu einem losen Knoten auf, so dass es weich um ihr Gesicht fiel. Dann wand sie dunkle Rosen in den Knoten und arrangierte ein paar kastanienbraune Strähnen um Prus Ohren.
Als einzigen Schmuck legte Pru eine schlichte Goldkette an, deren Verschluss hinten von einem Perlknopf geziert wurde. Mehr
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