Unter Brüdern (German Edition)
alleine. Sieben Wochen nachdem sie aus dem Krankenhaus entlassen wurde, wo sie wegen ihrer Lungenentzündung behandelt worden war.
Sie spielte mit ein paar der anderen Kinder auf dem Spielplatz, wartete auf Kenny, der mittwochs bis zum späten Nachmittag Schulunterricht hatte.
Sie schaukelte, dachte darüber nach, was sie Kenny vom heutigen Tag erzählen konnte – denn das tat sie immer zuallererst, bevor er ihr versuchte das Lesen beizubringen. Sie kannte bereits alle Buchstaben, sie wollte, dass er stolz auf sie war und das veranlasste sie dazu möglichst schnell zu lernen und möglichst viel zuhause zu üben.
Er war ihr in den letzten Wochen sehr ans Herz gewachsen, er war so etwas wie ihr großer Bruder geworden, er war schon zwölf Jahre alt und wusste viel. Sie konnte ihm stundenlang zuhören. Und ihm gefiel es, dass er sie beschützen und ihr so vieles beibringen konnte.
Vom heutigen Tag konnte sie ihm nur erzählen, dass sie nach dem Kindergarten schnell nachhause gelaufen war – denn heute war der Tag an dem Kennys Bruder früher Schulschluss hatte, das wusste sie, weil Kenny ihr Jakes Stundenplan abgeschrieben hatte, nur zur Vorsicht, damit sie ihm aus dem Weg gehen konnte.
Ihre Mutter hatte Rosenkohl mit Reis und Hühnchen gekocht und nachdem sie den Rosenkohl durch einen Spalt im Fenster des Wohnwagens losgeworden war, als ihre Mutter sich umgedreht hatte, war sie zum Spielplatz gelaufen, wo sie den Rest des Nachmittags auf der Schaukel verbracht hatte.
Sie liebte es zu schaukeln. Sobald die Schaukel frei wurde, rannte sie hin und kam meist den Rest des Nachmittags nicht mehr herunter. Die Schaukel neben ihr wechselte hin und wieder den Besitzer – seit Kenny an ihrer Seite war, wollten alle anderen in Megans Alter wissen, wie er so war, was sie die Nachmittage über bei ihm machten und ob sie auch mal mitkommen dürften, wenn sie bei Joey‘s Burger und Fritten aßen und Lieder aus der Jukebox anhörten – und Megan genoss die ungewohnte Aufmerksamkeit und das neu gewonnene Interesse an ihrer Person und blieb auf ihrer Schaukel, bis Kenny sie abholte.
Sie war zum heimlichen Star geworden, seit Kenny seine Zeit mit ihr verbrachte. Plötzlich wollten die anderen Kinder nicht mehr von ihrer Seite weichen und sahen zu ihr auf – zu dem Mädchen, das plötzlich mit einem der älteren Kids abhängen durfte.
Megan fühlte sich geschmeichelt, aber sie versuchte, nicht damit anzugeben. Es gefiel ihr im Mittelpunkt zu stehen, aber sie hatte Angst, dass Kenny eines Tages genug von ihr hatte. Genauso, wie ihr Vater eines Tages genug von ihrer Mutter gehabt hatte.
Sie sah Jake und zwei der anderen Jungs bevor sie Megan entdeckt hatten.
Sie wusste sofort, dass sie nach ihr Ausschau hielten, an dem gefährlichen Blitzen in Jakes Augen.
Sie erschrak so heftig, dass sie fast von der Schaukel fiel, die sich gerade im höchsten Schwung befand.
Es dauerte nur wenige Sekunden, bevor Jake böse grinsend zu ihr hinüber sah.
Sie versuchte langsamer zu werden, sodass sie abspringen könnte, doch Jake und seine Jungs waren bereits bei ihr, bevor sie die Schaukel stoppen konnte.
Die anderen Kinder verschwanden augenblicklich. Niemand wollte die Bande auf sich aufmerksam machen.
Megan dachte nur daran, wie froh sie war, dass kein Wasser in der Nähe war. Sie hatte in den letzten sieben Wochen einen großen Bogen um den Fluss und die Seen in der Nähe gemacht.
Hier auf dem Spielplatz musste sie wahrscheinlich einfach wieder eine Handvoll Sand essen und würde dann von ihnen in Ruhe gelassen werden.
Doch Jake hatte anderes im Sinn.
Er stellte sich hinter sie und begann sie anzuschupsen.
Megan hielt die Luft an, ihr war sofort klar, dass er nicht damit aufhören würde, bevor etwas Schlimmes passiert war.
Er schubste sie am Rücken an, immer wieder, immer fester und seine Jungs lachten und halfen ihm. Erst als sie so hoch schwang, dass sie über die Baumkrone hinüber zum Trailer Park sehen konnte, begann sie zu wimmern. Nicht mehr lange und sie würde sich überschlagen.
Sie krallte sich rechts und links an den Ketten fest, die die Schaukeln hielten und versuchte so starr wie möglich auf der Schaukel sitzen zu bleiben, doch sie hatte das Gefühl, sie würde an Halt verlieren, jedes Mal, wenn Jake sie in den Rücken stieß.
Sie wurde immer höher gestoßen, flog immer weiter. Und dann passierte alles ganz schnell und dennoch wie in Zeitlupe.
Sie überschlug sich, doch in dem Moment, in dem die
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