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Unter deinem Stern

Unter deinem Stern

Titel: Unter deinem Stern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victoria Connelly
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damit gerechnet, dass das winzige Wesen inzwischen verschwunden war, dass es wirklich nur ein Produkt ihrer Fantasie war. Aber nein, da saß die Frau noch immer – winzig, aber unübersehbar.
    »Also wirklich!«, sagte die kleine Person, die Händchen in die Hüften gestemmt. »Du bist ja wohl die schlechteste Lügnerin, die mir je untergekommen ist!«
    »Was?«, flüsterte Claudie, entgeistert über diese Direktheit.
    »Ich habe nicht die Spur von Stress!«, wiederholte die kleine Frau Claudies Bemerkung mit einem eindeutig ironischen Unterton. »Was glaubst du eigentlich, warum ich hier bin?«

3
    »Vielleicht sollte ich dir zunächst mal erklären, wer ich bin«, sagte die kleine Frau. »Wenn ich einem Kunden zum ersten Mal begegne, vergesse ich immer meine guten Manieren. Ich finde es einfach jedes Mal so aufregend.«
    »Tja, wer ich bin, scheinst du ja bereits zu wissen«, sagte Claudie, die Mr Bartholomews Brief ganz vergessen hatte. Sie lehnte sich in ihrem Stuhl zurück, um sich in Ruhe anzuhören, was die kleine Person ihr zu berichten hatte.
    »Selbstverständlich weiß ich das! Wir bekommen schließlich unsere Anweisungen.«
    »Ach?« Allmählich wurde Claudie neugierig.
    »Ja. Das gehört zu unserem Job. Wir müssen die Kundenakte genau studieren, bevor wir Kontakt aufnehmen.«
    »Es gibt eine Akte von mir?«
    Die kleine Frau schlug sich erschrocken die Hand vor den Mund. »Ach du je! Darüber darf ich eigentlich gar nicht sprechen.«
    Claudie kniff die Augen zusammen. »Worüber darfst du nicht sprechen?«
    »Über meinen Job.«
    »Und der wäre?«
    »Na, du weißt schon – Engel.«
    »Du bist ein Engel?« Claudie musste unwillkürlich lachen, doch dann biss sie sich hastig auf die Lippe, um nicht unhöflich zu erscheinen. »Bist du so eine Art Schutzengel?«
    »Wenn du willst. Ich weiß allerdings nicht, wer das Wort erfunden hat.«
    »Aber«, erwiderte Claudie und betrachtete die kleine Gestalt, als würde sie sie zum ersten Mal sehen. »Du hast ja gar keine Flügel!«
    »Ich weiß!«, sagte die kleine Frau und verdrehte die Augen. »Wir haben auch keine weißen Federn und keinen Heiligenschein. Und spielen auch nicht Harfe. Wir sind ganz normal.«
    »Warum bist du denn dann so klein?«, wollte Claudie wissen.
    »Das ist ganz einfach. Stell dir mal alle Menschen vor, die gestorben sind, und alle, die jetzt leben. Wir hätten doch gar keinen Platz auf der Erde, wenn wir alle in normaler Größe hier herumlaufen würden, oder?«
    »Ich dachte, ihr wärt unsichtbar.«
    »Das macht keinen Unterschied – Platz brauchen wir trotzdem.«
    Claudie dachte einen Augenblick lang darüber nach. Insgesamt kam ihr das alles recht glaubwürdig vor. »Hast du denn auch einen Namen? Oder soll ich dich einfach Engel nennen?«
    Die kleine Frau lachte. »Ich heiße Jalisa«, sagte sie und machte einen Knicks.
    Claudie lächelte. »Was für ein schöner Name.« Sie schaute kurz über ihre Schulter, um sich zu vergewissern, dass sie niemand beobachtete. Zwar arbeitete sie in einem Großraumbüro, aber zum Glück standen die Schreibtische weit genug auseinander, um jedem ein bisschen Privatsphäre zu gestatten.
    »Danke! Dann möchte ich mich dir jetzt vorstellen. Als Engel sollte man einem neuen Kunden ein bisschen über sich erzählen. Das macht die ganze Sache einfacher, meinst du nicht?«
    »Ja, wahrscheinlich hast du Recht.«
    »Also gut«, sagte Jalisa. »Wo fange ich denn am besten an? Die meisten Leute erzählen wohl als Erstes, wo sie geboren sind, aber Engel erwähnen meist als Erstes, wann sie gestorben sind.«
    »Oh!«
    Jalisa seufzte. »Ja, das ist ein bisschen schaurig, ich weiß, aber die meisten Kunden fragen früher oder später danach, und ich bringe diese Formalien gern möglichst schnell hinter mich«, sagte sie. »Ich bin mit dreiundzwanzig an Meningitis gestorben, worüber ich inzwischen kein bisschen unglücklich mehr bin. Ich musste mich allen möglichen Therapien unterziehen, bis ich mich endlich damit abfinden konnte, mittlerweile geht es mir jedoch ganz fantastisch, und ich möchte auf keinen Fall in die Welt zurückkehren.«
    »Wirklich?«
    »Wirklich. Das Dasein als Engel ist gar nicht schlecht. Ich lerne lauter wunderbare Menschen kennen – wie dich zum Beispiel.«
    Claudie spürte, wie sie errötete. »Was hast du denn früher beruflich gemacht?«
    »Ich war Tanzlehrerin. Sieht man das nicht?«, fragte sie und wirbelte plötzlich über den Computer wie ein bekiffter Schmetterling.
    »Du bist

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