Unter deinem Stern
Sekunde unlogischer. Wenn ich einen eigenen Engel habe, dachte Claudie, dann wäre es doch nahe liegend, wenn Luke dieser Engel wäre.
»Warum –«, setzte sie an, aber Jalisa fiel ihr ins Wort.
»Claudie – es ist nicht meine Entscheidung, ich bin nun mal dein Engel, also musst du dich mit mir zufrieden geben. Falls es dich tröstet: Luke kümmert sich wahrscheinlich um jemand anders. So funktioniert das nun mal.«
Bei der Vorstellung, wie Luke auf dem Schreibtisch eines wildfremden Menschen herumsprang, wurde Claudie ganz warm ums Herz, gleichzeitig machte der Gedanke sie aber auch ein bisschen eifersüchtig.
»Wäre es nicht sinnvoller, wenn er mich beschützte?«, fragte sie.
Jalisa schaute sie liebevoll an. »Du musst dein Leben neu gestalten, Claudie. Es wäre nicht recht, ihn dir zurückzugeben.«
»Nicht recht?« Claudie versagte fast die Stimme.
Jalisa schüttelte den Kopf. »Ich weiß, das ist hart. Keine Ahnung, wer die Regel eingeführt hat, aber sie ist unumstößlich. Tut mir Leid, Claudie.«
Einen Augenblick lang waren sie still, bis Claudie das Schweigen brach.
»Wann werde ich denn die anderen kennen lernen? Du hast eben von ›wir‹ gesprochen.«
»Ach, das hat keine Eile! Im Moment genieße ich meine Zeit mit dir allein.«
»Aber es werden noch mehr Engel kommen?«
Jalisa nickte. »Wir arbeiten in Fünferscharen.«
»Scharen? Du meinst, Engelsscharen? Das ist aus Hamlet, nicht wahr?«
»Wie bitte?«
»Habt ihr die Bezeichnung von Shakespeare?«
»Ach, Shakespeare! Ja, genau. Er wurde speziell geehrt, als man die Bezeichnung eingeführt hat.«
Claudie kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. »Du bist ihm also schon mal begegnet?«
»Selbstverständlich! Hier bei uns kennt jeder jeden.« Sie nickte und fuhr sogleich mit ihren Erklärungen fort. »Die Vorstellung, dass jeder Mensch nur einen Engel bekommt, ist wirklich unglaublich. Wer ist bloß auf die Idee gekommen, ein Engel allein könnte diese Aufgabe bewältigen?«
»Das klingt alles so faszinierend.«
»Was klingt faszinierend?« Das war nicht Jalisas Stimme, sondern die von Mr Bartholomew. Claudie blieb fast das Herz stehen. Wieso musste ihr Chef sich immer so an sie heranschleichen?
»Äh –« Sie hob die Schultern. »Nichts. Ich habe nur laut gedacht.«
»Ich habe das hier auf meinem Schreibtisch gefunden. Das hätte schon am Freitag rausgehen müssen.« Er reichte ihr ein Memo.
»Oh«, sagte Claudie. Sie wusste ganz genau, dass er es ihr am Freitagmorgen nicht gegeben hatte, denn er wusste ganz genau, dass sie freitagnachmittags nie im Büro war. »Ich werde es sofort erledigen.«
Mr Bartholomew nickte abwesend und verließ wortlos das Büro.
»Was für ein schrecklicher Mann!«, rief Jalisa entgeistert.
»Schsch!«
»Mach dir keine Sorgen – er kann mich nicht hören. Nur du hörst mich, Claudie. Wie oft muss ich dir das denn noch sagen?«
»Tut mir Leid. Es ist einfach ein bisschen viel auf einmal.«
»Ich weiß. Deswegen wurde ich auch vorausgeschickt. Es wäre fürchterlich, wenn wir alle gleichzeitig auf deinem Schreibtisch auftauchen würden. Früher hat man das natürlich so gemacht. Aber das System hat sich als untauglich erwiesen. Die Leute sind regelmäßig durchgedreht. Jetzt haben wir ganz neue Regeln«, sagte Jalisa, breitete die Arme aus und drehte sich auf einem Fuß wie eine Miniaturausgabe von Leslie Caron. »Dennoch –«
»Schon gut!« Claudie grinste. »Du darfst nicht darüber reden.«
»Also – noch mal zurück zu der Frage, wo du uns haben willst. Hier? Oder zu Hause?«
Claudie schürzte die Lippen und schaute zu, wie Jalisa über ihren Schreibtisch tanzte. Sie würde diesen Tisch nie wieder so sehen können wie bisher.
»Ich glaube, hier wäre am besten. Wenn es euch recht ist.«
»Perfekt!«, sagte Jalisa und schwang sich auf Claudies Rolodex.
»Darf ich dich etwas fragen?«
»Sicher!«
»Wie wurdest du für mich ausgewählt?«
Jalissa hielt inne. »Das weiß ich nicht. Das teilt man uns nicht mit. Wahrscheinlich ist es wie im richtigen Leben. Manchmal ist es der Job, der einen auswählt.«
Claudie nickte verständnisvoll. »Warum jetzt? Wieso nicht schon früher?«
»Man nennt das eine Testphase«, antwortete Jalisa. »Jeder Mensch durchläuft sie, nachdem ihm etwas Schlimmes zugestoßen ist, und jeder ist anders. Wir werden nicht immer gebraucht.«
Claudie hätte am liebsten noch mehr Fragen gestellt. Zum Beispiel, woher sie wussten, dass sie Hilfe brauchte. Wer traf
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