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Unter deinem Stern

Unter deinem Stern

Titel: Unter deinem Stern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victoria Connelly
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sie ihn auf ihrem Schreibtisch entdeckte. Sie hatte die Engel also nicht erfunden! Es gab sie wirklich! Gleichzeitig war sie auch ein bisschen enttäuscht. Sie hatte gehofft, eine von den Frauen anzutreffen. Mit denen konnte sie über alles reden. Oder Bert: Er hätte sie aufmuntern können. Von allen Engeln war Mr Woo derjenige, so schien es ihr, mit dem sie am wenigsten gemeinsam hatte. Sie fragte sich, warum er für sie ausgewählt worden war. Vielleicht nur wegen seiner Kräuter?
    »Warum kommst du so spät noch hierher?«, fragte er, als er aus dem Schatten hinter dem Bildschirm hervortrat.
    »Ich hab mich furchtbar einsam gefühlt und nach Gesellschaft gesehnt«, erklärte sie schüchtern.
    »Aber wenn du erwischt wirst, bekommst du doch Ärger?«
    »Ja. Und warum sind Sie hier?«, fragte sie, froh, dass er da war.
    Er schaute sie mit seinen sanften braunen Augen an. »Ich habe heute Bereitschaftsdienst.«
    Mr Woo wirkte leicht besorgt, als wüsste er nicht so recht, was er tun sollte. »Du brauchst Kräuter, um schlafen zu können?«
    Claudie schüttelte den Kopf. Mit seinen Kräutern erinnerte Mr Woo sie an Dr. Lynton mit seinen Büchern. Aber Bücher und Kräuter waren keine Allheilmittel.
    »Ich wollte nur mit jemandem reden«, sagte sie.
    Mr Woo nickte. »Verstehe.«
    »Wirklich?« Sie schauten einander eine ganze Weile schweigend an.
    »Meine Frau fehlt mir«, sagte Mr Woo schließlich lächelnd. »Doch wenn ich davon erzähle, wird dich das traurig machen.«
    »Nein, nein! Überhaupt nicht«, versicherte sie ihm. »Sie können mir von ihr erzählen. Ich bin eine gute Zuhörerin.«
    Mr Woo setzte sich auf einen Aktendeckel und starrte ins Leere. »Es ist so lange her, seit ich sie das letzte Mal gesehen habe.«
    Sofort kamen Claudie die Tränen, und sie wusste, dass es kein Kraut auf der Welt gab, das diesen Schmerz heilen konnte.
    »Ach, Mr Woo.«
    »Ich erinnere mich an alles Mögliche. Und es gibt so viele Dinge, die mir fehlen.« Er war einen Moment lang still, dann schüttelte er den Kopf, als erwachte er aus einer Trance, und hob die Hände.
    »Es tut mir so Leid«, flüsterte Claudie.
    »Mir tut es auch Leid für dich«, sagte er.
    »Wir sind zwei Trauernde«, sagte sie mit einem nervösen Kichern und kämpfte mit den Tränen.
    Mr Woo nickte. »Siehst du, jetzt mache ich dich doch traurig.«
    »Nein«, sagte Claudie. »Das stimmt nicht.«
    Auf einmal waren sie beide um Worte verlegen. »Ich hätte nur nie gedacht, dass jemand, der gestorben ist, diejenigen, die er hinterlässt, vermissen kann«, sagte Claudie schließlich.
    Mr Woo nickte wieder. »In der Engelschule lernen wir, Hinterbliebene zu trösten. Aber wir Toten sind auch traurig.«
    »Sie meinen, Luke trauert auch um mich?« Claudies Augen weiteten sich.
    »Ja.«
    Plötzlich hatte Claudie einen Kloß im Hals, und bei dem Gedanken, dass Luke auf irgendjemandes Schreibtisch sitzen und über seinen Schmerz sprechen könnte, kamen ihr erneut die Tränen. »Ach, Mr Woo, kann ich ihn sehen? Bitte?«
    Mr Woo schüttelte den Kopf. »Du weißt doch, dass das nicht möglich ist, Claudie.«
    »Aber das ist eine blöde Regel. Es würde mir bestimmt besser gehen, wenn ich ihn noch einmal sehen könnte. Möchten Sie denn nicht auch Ihre Frau besuchen und sie trösten?«
    »Das würde ich sehr gerne«, flüsterte er ganz leise, als fürchtete er, jemand könnte ihn hören. »Aber es geht nicht.«
    »Warum denn nicht?«
    »Die Lebenden müssen sich wieder – na ja, wie sagt man – das Leben geht weiter.«
    »Das Leben geht weiter!« Claudie schnaubte verächtlich. »Das ist das Lächerlichste überhaupt. Das sagen mir alle, aber die haben keine Ahnung, was ich empfinde. Keinen blassen Schimmer! «
    »Ich empfinde dasselbe wie du.«
    Sie schaute ihn an. »Ich weiß. Entschuldigung. Ich werde nur manchmal so wütend. Es ist, als hätte ich einen Vulkan verschluckt, der plötzlich ausbricht.«
    »Ich habe dieselben Gefühle – nur auf der anderen Seite.«
    Claudie blinzelte. »Glauben Sie, Luke war auch wütend?«
    »Als er dich verlassen musste, war er so wütend wie ein feuerspeiender Drache.«
    »Sie sind ihm also begegnet?«
    Mr Woo schüttelte den Kopf. »Aber ich werde mich auf die Suche nach ihm machen.«
    »Wirklich?«
    »Ja.«
    »Werden Sie ihm dann auch sagen, wie sehr er mir fehlt? Wie sehr ich ihn liebe?«, fragte Claudie atemlos.
    »Du darfst den anderen bloß nichts davon verraten. Du bekommst großen Ärger, falls das rauskommt.« Mr Woo

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